© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Basar der Peinlichkeit
Kino: "Vanity Fair - Jahrmarkt der Eitelkeit" von Mira Nair
Claus-M. Wolfschlag

Gemeinhin hat es das Medium Film schwieriger, anspruchsvolle Inhalte zu transportieren, als das geschriebene Wort. Romanvorlagen müssen inhaltlich auf Spielfilmlänge gekürzt werden, Nebenhandlungen verlieren oft an Tiefenschärfe, seelische Befindlichkeiten können nur suggeriert werden, wobei das Gelingen vom Können der Schauspieler abhängt. Schafft es ein Regisseur nicht, eine Geschichte in ihrem wesentlichen Erzählstrang zu fokussieren, glaubhaft darzustellen, zerfasert sich der Film. An diesem Problem leidet Mira Nairs neuer Film "Vanity Fair", der auf William Thackerays Gesellschaftsroman von 1848 basiert. Schlimmer noch, Nair gelingt es treffsicher, das Geschehen auf der Leinwand unter das Niveau eines Groschenheftes zu drücken.

"Vanity Fair" spielt in der napoleonischen Epoche. Becky Sharp (Reese Witherspoon), Tochter eines englischen Künstlers und einer französischen Sängerin, verliert als Kind ihre Eltern und wird in ein Internat eingeliefert. Ein Schnitt, und Becky ist eine erwachsene Frau, die das Internat verläßt. Sie träumt von einem glamourösen Leben in der besseren Gesellschaft und wird Hauslehrerin bei einer etwas verwahrlosten Landadelsfamilie. Dort wird sie von deren reicher Erbtante (Dame Eileen Atkins) als Betreuerin abgeworben, lernt schließlich den zweiten Sohn der Familie, Offizier Rawdon Crawley (James Purefoy), kennen und heiratet ihn. Sie bekommen ein Kind, doch Geldsorgen belasten das junge Paar.

Im Konflikt mit Schuldnern lernt Becky den mysteriösen Marquis von Steyne (Gabriel Byrne) kennen, der ihr finanziell aus der Patsche hilft, dafür aber Liebesbeweise als Gegenleistung verlangt. Ihr Gatte Rawdon kommt hinter diese Spielereien und wendet sich von Becky ab. Ein Schnitt, und Becky ist zwölf Jahre später in einem Casino in Baden-Baden gestrandet. Dort taucht unverhofft ein alter Bekannter auf und nimmt sie mit auf eine Reise nach Indien. Hier scheint sie endlich am Glück ihres Lebens angekommen zu sein: Farben, Wärme und üppige Pracht.

Mira Nair hat mit "Vanity Fair" ein oberflächliches Kitsch- und Schmalzstück kreiert, das unterhalb der Erträglichkeitsgrenze angesiedelt ist. Die darin versuchten Charakterzeichnungen geraten schablonenhaft, seelische Wendungen wirken konstruiert.

Der lange als geheimnisvolle Gestalt eingeführte und dann erst als vorurteilsloser Gönner dargestellte Marquis von Steyne entpuppt sich als dumpfer Lüstling. Der liebevolle Gatte Rawdon Crawley verläßt die eigene Frau nach deren Techtelmechtel mit Steyne, ohne auch nur ein Wort der Erklärung von dieser anzuhören. Die beste Freundin überwindet zwölf Jahre der Trauer über den verstorbenen Gatten in der Sekunde, als Becky einen von dessen alten Liebesbriefen an sie hervorzückt, und wirft sich sofort ihrem neuen Verehrer an den Hals.

Gestörte Kommunikation allerorten. Nur, wer möchte sich das 138 Minuten lang anschauen? Ständige Eifersüchteleien, Geldgier, Buhlen um sozialen Aufstieg, persönliche Affekte. Ein ermüdendes Hin und Her, das die Jahre durcheilt, ohne sich zu lange mit der Seele der Heldin, geschweige denn den anderen Figuren in den verwirrend verästelten Nebenhandlungen zu beschäftigen. Die Ursache der Faszination, die Becky Sharp scheinbar auf ihre Umgebung ausstrahlt, bleibt völlig nebulös. Hier wollte Nair scheinbar zuviel an Stoff verarbeiten und brachte nur Oberfläche zustande.

So bleiben dem Betrachter nur einige opulente Bilder, wahrlich Nairs Spezialität. Doch auch in diesen Momenten wird der Effekt zu weit getrieben und schadet der Geschichte zusätzlich: Ein orientalisch eingefärbtes Gartenfest, das einem modernen Hippie-Markt mit Feuerschlucker ähnelt. Eine vor dem König im erotischen Kostüm mit einer indischen Tanzperformance auftretende Becky Sharp. Dann ein deutsches Casino, dessen Gäste auf jeder Schwulenparade der Gegenwart noch als "schrille Vögel" durchgehen dürften. Derartige Versuche, moderne Lebenswelt optisch in frühere Jahrhunderte zu transferieren, wirken hier nur peinlich.

Foto: Becky Sharp (Reese Witherspoon): Kitsch und Schmalz


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