© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/05 08. April 2005

Pankraz,
die Politiker und der Teilchenbeschleuniger

Gelächter kam auf, als neulich auf der Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin ein Teilnehmer seufzte, das Licht verhielte sich im Experiment wie ein Politiker im Interview. Je nachdem, wie es befragt werde und von wem, gebe es seine Antworten mal so, mal so. Genau wie ein Politiker lasse es sich nicht auf eine "Wahrheit" festlegen, spiegele immer nur die gerade aktuelle Interview-Situation.

Vielleicht war das ein Scherz mit tieferer Bedeutung. Vielleicht ist das Politiker-Interview tatsächlich eine Art Paradigma für Informationsgewinnung überhaupt, einerlei ob diese nun im Rahmen einer wissenschaftlichen Versuchanordnung, als simple Wahrnehmung bzw. Lektüre oder eben im Verlauf eines irgendwie strukturierten Frage-Antwort-Spiels geschieht. Möglicherweise gehört es zum Wesen der Information, jeder Information, zweideutig und vieldeutig und in jedem Fall interpretationsbedürftig zu sein.

Beim Politiker-Interview liegen die Dinge auf der Hand. Der Interviewte denkt nicht daran, seine Karten offen auf den Tisch zu legen, auch wenn er den Interviewer noch so gern hat und mit ihm noch so sehr einer Meinung ist. Denn die Spra­che der Politik ist in jedem Fall und von Anfang bis Ende peremptorisch. Es geht ihr nicht um Wahrheiten, sondern um Wirkungen. Ein politisches Interview interessiert nur insofern, als es der Durchsetzung einer bestimmten Absicht dient, einer Bekräftigung etwa, einer Absicherung oder einer kühl berechneten Provokation. Politische Interviews sind immer Schach, Poker oder betrügerisches Hütchenspiel.

Der Interviewer weiß das natürlich auch und richtet sich danach, auch wenn er den Interviewten noch so gern hat und mit ihm noch so sehr einer Meinung ist. Auch ihm geht es nicht um Wahrheit, sondern um Wirkung. Entweder stellt er sich mit Absicht dem Politiker als Sprachröhre und Lautverstärker zur Verfügung, oder er möchte etwas aus ihm "herauskitzeln", das Effekt in der Öffentlichkeit macht und so der Mehrung seines, des Interviewers, Ruhm dient.

Im wissenschaftlichen Experiment verhält es sich kaum anders. Experimente werden nicht um der Wahrheit willen inszeniert, sondern um etwas Spektakuläres und Nützliches aus dem Versuchsobjekt herauszukitzeln. In der historischen Frühzeit des physikalischen Experiments, zu Bacons und Galileis Zeiten, als es gewissermaßen noch um Präludien und peanuts ging, ließ das Versuchsobjekt manches mit sich machen, antwortete brav mit Ja oder Nein. Heute aber, wo es buchstäblich ums Ganze geht, um den "Grund der Materie", ist das nicht mehr so. Die Natur legt sich quer wie ein Politiker und läßt die Befrager ins Leere laufen.

Diese bauen (mit öffentlichen Mitteln) immer größere und teurere Beschleunigungsanlagen, wo man "Teilchen" unter riesigem Energieaufwand auf annähernd Lichtgeschwindigkeit bringt, sie zusammenprallen läßt und damit immer neue "Teilchen" erzeugt, über die man dann Theorien entwickeln kann. Lukratives Glasperlenspiel für elaborierte Kreise. Für die Gesellschaft im ganzen kommt nichts dabei heraus, nicht einmal etwas für seriöses Allgemeinwissen. Es ist, als ob uns ein besonders schlauer Politiker mit Phrasen abspeist, wobei wir nicht einmal wissen, was er gemeint haben könnte und was er verschleiern wollte.

Politiker-Interviews und Teilchenbeschleuniger sind trotzdem noch die große Mode und erzeugen zumindest Schlagzeilen. Aber vielleicht schlägt das Pendel eines nicht allzu fernen Tages zurück. Schon machen sich Stimmen vernehmbar, die sagen: "Was soll dieser grauenhafte Phrasenbetrieb in Politik und Wissenschaft, was sollen diese aufgedonnerten Frage-Antwort-Spiele? Sie verschlingen Unsummen und stiften nur Verwirrung. Kehrt endlich um! Meßt die Politiker endlich wieder an ihren Taten statt an ihren Worten, und meßt die Natur endlich wieder an dem, was sie uns in unverstellter, genauer Sinneswahrnehmung und wacher Lebenserfahrung ganz von selbst bietet, statt an dem, was sie uns in monströsen Maschinen lediglich vorspiegelt!"

An sich ein guter Rat, übrigens schon bei Nietzsche und anderen Konkretdenkern in seiner Spur zu haben. Nur sind eben auch Sinneswahrnehmungen und spontane Lebenserfahrungen Informationen. Indem wir wahrnehmen und erfahren, sammeln wir unermüdlich Informationen, "befragen" die uns umgebende Natur respektive Kultur, nicht anders als politische Interviewer und experimentierende Physiker. Auch "natürliche" Wahrnehmungen und Erfahrungen unterliegen dem eingangs geäußerten Generalverdacht, daß sie vieldeutig sind, den speziellen Bedingungen der jeweiligen Situation unterworfen.

"Information pur" gibt es nicht. Jede Einzelinformation wird modelliert und spezifiziert durch die jeweilige Raum/Zeit-Lage des Befragers wie des Befragten. Informationen, auch die allereinfachsten, sind - entgegen der Meinung mancher Computerfreaks - keine digitalen Bits, sondern es sind Wolken von Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, die das Leben umhüllen und durchdringen und zu Taten anregen, welche ihrerseits wieder Informationen sind.

Freilich, Politiker, die sich jetzt, nach eventueller Kenntnisnahme der Physiker-Diskussionen auf der Berliner Tagung, beruhigt zurücklehnen in der Gewißheit, daß auch sie nur schlichte Info-Quanten seien, die nichts dafür können, wenn sie mißverstanden werden und die Dinge im Lande schlecht laufen - solche Politiker liegen falsch. Die Kluft zwischen Interview-Phrase und politischer Tat bleibt.

Gute Politik ist, auch quantenmechanisch betrachtet, mehr als medialer Zirkus. Phrasendreschende Politiker sind hingegen wie neue "Teilchen" im Teilchenbeschleuniger. Sie erzeugen eine kurze Kondensspur, und niemand weiß, was und ob überhaupt etwas dahinter gewesen ist.


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