© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/05 08. April 2005

Er ging seinen eigenen Weg
Unter dem Mantel der Weltläufigkeit pulsierte der Berliner Kiez: Zum Tod des Entertainers Harald Juhnke
Thorsten Thaler

Als der Schauspieler Günter Pfitzmann im Mai vor zwei Jahren starb, überschrieb die FAZ ihren Nachruf mit der Titelzeile "Der letzte West-Berliner". Das war gut gedacht und doch nur die halbe Wahrheit. Denn immerhin lebte Harald Juhnke noch, wenn auch seit Dezember 2001 umnachtet in einem Pflegeheim für Demenzkranke. Jetzt ist auch Harald Juhnke gestorben, vergangenen Freitag im Krankenhaus Rüdersdorf, und mit ihm nun endgültig jenes alte (West-)Berlin, wie es sich gleichermaßen in Pfitzmann wie in Juhnke spiegelte.

Geboren am 10. Juni 1929 als Sohn eines Polizeiangestellten, in kleinbürgerlichen Verhältnissen inmitten des Berliner Arbeiterbezirks Wedding aufgewachsen, wurzelte Juhnke bei allem, was er tat, in seiner Stadt. Auch dafür liebten die Berliner ihren Harald. Gewiß hatte der Schauspieler, Sänger und Entertainer immer auch die große weite Welt im Blick, wollte immer auch Lackschuh sein. Die Gala war sein Format. Juhnke liebte große Auftritte, ob im Theater, auf der Showtreppe oder der Bühne des Lebens. Doch unter dem Mantel der Weltläufigkeit pulsierte der Berliner Kiez. Herz mit Schnauze - mit seiner beispiellosen nonchalanten Art lebte Harald Juhnke diese Charaktereigenschaft, lange bevor sie zum Klischee erstarrte.

Trauerbekundungen von Politikern sind zuweilen nicht frei von Absonderlichkeiten. Im Fall von Harald Juhnke jedoch traf Kulturstaatsministerin Christina Weiss den Nagel auf den Kopf, als sie in ihrem Kondolenzschreiben formulierte: "Er spielte, wie er lebte, und lebte, wie er spielte."

Begonnen hatte Juhnkes Karriere 1948 im Haus der Kultur der Sowjetunion, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater. In Konstantin Trenjows Umerziehungsstück "Ljubow Jarowaja" mimte er einen jungen Offizier. Sein erstes Engagement erhielt er 1950 am Theater Neustrelitz bei Schwerin, wo er die Hauptrolle in der "Karthagischen Komödie" spielte. Von dort wechselte er an die Freie Volksbühne Berlin. Anfang der fünfziger Jahre entdeckte ihn der Regisseur Carl Fröhlich für den Film. In den folgenden Jahrzehnten stand Juhnke in etwa 80 Kinofilmen und Fernsehproduktionen vor der Kamera, trat zwischendurch aber auch immer wieder im Theater auf.

Seinen größten Filmerfolg verbuchte er 1992 mit "Schtonk!", der von Helmut Dietl für die Leinwand aufbereiteten Geschichte um die gefälschten Hitler-Tagebücher. Für die Darstellung des Ressortleiter Kummer wurde Juhnke mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet. Eindrucksvoll war auch seine schauspielerische Leistung in der TV-Verfilmung des Fallada-Romans "Der Trinker". Es war die Rolle seines Lebens. Auf der Theaterbühne erfuhr Juhnke ebenso spätes wie ungeteiltes Kritikerlob - jenseits der rein boulevardesken Stücke - für seinen Wilhelm Voigt im "Hauptmann von Köpenick" (1996), den er auch im Film verkörperte.

Leben zwischen Bar und Bühne, Kneipe und Kamera

Daß es neben dem Künstler auch den lebenslangen Alkoholiker Juhnke gegeben hat, der betrunken auf der Bühne stand oder Auftritte platzen ließ, außereheliche amouröse Affären hatte, eine Reporterin ohrfeigte, im Suff dummes Zeug erzählte und des öfteren auf Intensivstationen aufwachte - all das ist über die Jahre hinweg von Boulevardmedien ausführlich und mit einer Vorliebe für hochnotpeinliche Details beschrieben worden. Geschadet haben die alkoholbedingten Ausfälle und Eskapaden seiner Karriere und Beliebtheit beim Publikum nicht, im Gegenteil. In der Fankurve von Hertha BSC wurde Ende der neunziger Jahre "Und wir haben ein Idol - Harald Juhnke" gesungen, und noch heute kann man im Stadion Berliner Fußballfans sehen, die Schals mit diesem Aufdruck tragen.

Zur Tragik von Juhnkes Leben zwischen Bar und Bühne, Kneipe und Kamera gehörte, daß er unbedingt seinem großen Vorbild seit Kindheitstagen, Frank Sinatra, nacheifern wollte. Sinatra war für Harald Juhnke der Inbegriff von Unterhaltung, "der größte Entertainer aller Zeiten". Juhnkes Biograph Rüdiger Schaper sah in dessen Bewunderung für Sinatra "Fanatismus", Juhnke selbst sprach von "einer Art Trauma". In einem Playboy-Interview sagte er mit dem Hang zur typischen Berliner Großmannssucht: "Ich höre immer seine Platten, bevor ich auftrete, weil ich glaube, daß ich auf dem Unterhaltungssektor ein ähnliches Talent bin."

Daß Harald Juhnke talentiert war und diese Begabung auch unter Beweis stellte, steht außer Frage. Der "Sinatra von der Spree" oder der "deutsche Frank Sinatra", als der er über viele Jahre hinweg und auch jetzt wieder in den Nachrufen apostrophiert wurde, war Juhnke trotzdem nicht. Dieser künstlerische Vergleich sei "unangemessen", schrieb und begründete Rüdiger Schaper bereits 1997. Andererseits: Wer Juhnkes deutsche Version des Sinatra-Welthits "I did it my way" kennt, wird zugeben müssen, daß es einem dabei schon sehr schwer ums Herz werden kann.

So ist denn der Abschied von Harald Juhnke ein wehmütiger. Deutschland hat seinen einzigen Entertainer verloren, der diese Bezeichnung verdient, und Berlin, vor allem das alte West-Berlin, seinen letzten großen Vertreter.

Foto: Harald Juhnke in dem Fernsehfilm "Der Trinker" (1995): Es war die Rolle seines Lebens


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