© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Große Koalition unter schlechten Vorzeichen
Schleswig-Holstein: CDU und SPD einigen sich in Kiel auf einen Koalitionsvertrag / Zustimmung der Landesparteitage steht noch aus
Hans-Joachim von Leesen

Gemeinsam wollen sie das nördlichste Bundesland regieren: Die Wahlsiegerin CDU, die über kein erkennbares gemeinsames Fundament in Grundsatzfragen verfügt, und die Wahlverliererin SPD, die stets stolz darauf war, daß ihr Landesverband zu den am weitesten links stehenden gehört.

Im Kabinett wird jede der beiden Parteien vier Führungsplätze belegen: die CDU den des Ministerpräsidenten sowie die Ministerien für Finanzen, für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr sowie Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume; die SPD die stellvertretende Ministerpräsidentin in der Person der Ministerin für Bildung und Frauen, das Innenministerium, das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa sowie das für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren.

Spannung verspricht das Paar an der Spitze: Peter Harry Carstensen als Ministerpräsident, der von sich zwar behauptet, er sei konservativ, aber kaum in der Lage war, diese Position konkret zu begründen, sowie die scharf linksakzentuierte Bildungspolitikerin Ute Erdsiek-Rave als Stellvertreterin.

Dreigliedriges Schulsystem soll beibehalten werden

Die Verhandlungen für die Große Koalition konnten zügig abgewickelt werden, obgleich es zum Schluß angeblich auf Spitz und Kopf stand, als die CDU einen weiteren Ministerposten beanspruchte. Nachdem sie nachgegeben hatte, konnten die Parteivorsitzenden am Wochenende den Koalitionsvertrag unterschreiben. Er hört sich über weite Strecken durchaus vernünftig an, doch ist zu fragen, wie er sich im Tagesgeschäft bewähren wird. So hat die CDU durchgesetzt, daß das dreigliedrige Schulsystem beibehalten wird, das die Sozialdemokraten mit großer Entschiedenheit zugunsten der Einheitsschule abschaffen wollten, daß es daneben aber auf freiwilliger Basis Gemeinschaftsschulen geben kann. Und das soll Erdsiek-Rave umsetzen.

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stand bei den verbalen Beteuerungen im Wahlkampf für beide Parteien an erster Stelle, doch sucht man konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieses Zieles vergeblich, was kein Wunder ist, denn Arbeitsplätze werden von der Wirtschaft geschaffen, nicht von den Parteien. Im Wahlkampf machen sich aber solche Forderungen recht gut.

Seltsam mutet es an, daß der allseits hochangesehene Finanzfachmann der CDU-Bundestagsfraktion, Dietrich Austermann, der stets als Finanzminister einer neuen Landesregierung vorgestellt wurde, sich nicht auf diesem Platz wiederfindet, sondern jetzt für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr zuständig sein soll.

Beobachter fragen sich, warum die CDU nicht auf Neuwahlen bestand. Seit der Landtagswahl sind die Werte der SPD rapide gesunken, zumal nachdem die Ministerpräsidentin Heide Simonis viermal im Landtag bei der Wahl gescheitert war. Nach letzten Umfrageergebnissen hätte die Christdemokraten bei einer Neuwahl 51 Prozent der Stimmen bekommen. Dann hätte sie ihr Regierungsprogramm ungeschmälert durchsetzen können.

Aber man ging auf Nummer sicher, nach der Devise: Was ich hab, das habe ich - was ich bekomme, ist ungewiß. Dabei menschelt es gewaltig: Wer jetzt einen Landtagssitz ergattern konnte (und der ist in der Regel deutlich einträglicher als der Beruf, in dem sich die Parlamentarier bislang versuchten), hält ihn fest umklammert; eine Neuwahl würde aber bedeuten, daß sich die Kandidaten erneut zunächst in ihrer Partei, dann vor den Wählern hätten zur Abstimmung stellen müssen, und da fürchtete mancher um seine wirtschaftliche Existenz.

So bietet die CDU in Schleswig-Holstein ein Beispiel für mangelnde Kampfeslust und fehlende Zuversicht; statt dessen begnügte man sich einer halben Lösung, obwohl man die ganze hätte haben können. Kein gutes Zeichen für den Beginn der Großen Koalition in Kiel.

Am kommenden Wochenende sollen nun die Landesparteien darüber befinden, ob sie den Koalitionsvertrag billigen. Da dürfte nichts schiefgehen: Die einen freuen sich, nach siebzehn Jahren einmal wieder den Ministerpräsidenten stellen zu können, die anderen, weil es für sie noch viel schlimmer hätte kommen können, zumal ihr Zugpferd, die bisherige Spitzenkandidatin Heide Simonis, gestolpert ist und nicht mehr zur Verfügung steht.


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