© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Heute Christentum, morgen Buddhismus
Berlin: Der Streit um den geplanten Werteunterricht in der Hauptstadt erreicht die Bundespolitik
Clemens Taeschner

Gegen den Beschluß der Berliner SPD, ein für alle Schüler ab der siebten Klasse obligatorisches Unterrichtsfach in "neutraler" Wertekunde einzuführen (JF 16/05), regt sich selbst im Regierungslager heftiger Widerstand.

Kanzler Gerhard Schröder plädierte vergangene Woche in Berlin dafür, das Fach Religion als gleichberechtigte, mithin also alternative Wahlmöglichkeit neben dem geplanten Werteunterricht zu etablieren. Das Votum der Parteigenossen in Berlin nannte er eine "einsame Entscheidung", die in dieser Frage "ganz und gar verzichtbar" sei. In einer eigens hierzu anberaumten Bundestagsdebatte betonte Wilhelm Schmidt in seiner Eigenschaft als Kirchenbeauftragter der SPD-Fraktion, er halte die Entscheidung seiner Berliner Parteifreunde für falsch.

Die kirchenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Christa Nickels, kritisierte, man könne nicht einen verpflichtenden Werteunterricht einführen und gleichzeitig den Religionsunterricht wie eine "Bastel-AG" behandeln. Die Vorsitzende der Grünen- Bundestagsfraktion, die Theologin Katrin Göring-Eckardt, forderte die Berliner SPD zum Einlenken in Richtung eines Wahlpflichtfaches Ethik oder Religion auf. Sie gibt zu bedenken, daß es einen "neutralen Werteunterricht, wie der Berliner Senat ihn einführen will, gar nicht geben kann". Werte seien nicht neutral. Sie könnten nur persönlich vermittelt werden. "Allein die Idee", sagte Göring-Eckart weiter, "Werte neutral vermitteln zu können", erinnere sie "an die DDR".

In seltener Einhelligkeit trifft sich die Grüne hier mit der CDU. Deren Fraktionschef in Berlin, Nicolas Zimmer, betont ebenso wie Göring-Eckardt die Notwendigkeit, dem Werteverfall in der Gesellschaft zu begegnen. Glaube und Religion spielten dabei eine zentrale Rolle. In einem Staatsfach könne das nicht vermittelt werden, "denn dort wird der Glaube nicht vorgelebt". "Ein verordneter Werteunterricht, der den Religionsunterricht an den Rand drängt", so Zimmer weiter, erhebe den "Anspruch auf die staatliche Interpretationshoheit über Moral und Ethik. Und zwar eine Ethik, die uns SPD und PDS vorschreiben wollen". Zudem bezichtigte er den sozialdemokratischen Schulsenator Klaus Böger des Verrats an seinen eigenen Ansichten. Mit der Beliebigkeit von "heute Christentum, morgen Buddhismus, übermorgen der Islam" könne man keine Überzeugungen bilden, sondern trage zur Gleichgültigkeit bei. Der Berliner FDP-Fraktionschef Martin Lindner bescheinigte der Berliner SPD in der heftigen Debatte des Abgeordnetenhauses, sie bilde eine "bildungspolitische Sekte" und stehe für eine "DDR light".

Auch unter den Elternverbänden formiert sich mittlerweile Widerstand. Der Hauptvorwurf: Die Wahlfreiheit der Eltern werde eingeschränkt. Der Vorsitzende des Landeselternausschusses, André Schindler, meint denn auch, daß Werte "vorgelebt" werden müßten. Auch der ehemalige Wissenschaftssenator George Turner beklagt im Berliner Tagesspiegel den Plan des Senats. Schüler mit einem nur pro forma christlichen Elternhaus werden seiner Ansicht nach künftig mehrheitlich auf den zusätzlichen Religionsunterricht verzichten. Den "christlichen" Mitschülern werde Religion als grundlegender Bestandteil der europäischen Kultur und Geschichte weitgehend verschlossen bleiben. Auf diese Weise werde ein Wandel der Gesellschaft herbeigeführt, den man auch als Ausverkauf der eigenen Werte bezeichnen könne.

In einem Leserbrief in derselben Zeitung wird in bezeichnender Weise die Crux der Stunde angesprochen: Wenn Kinder dazu erzogen werden sollen, "ihre Herkunftsreligion zu relativieren", wie es etwa die Abgeordnete Carola Freundl (PDS) formulierte, dann setze das ja erst einmal eine Herkunftsreligion voraus, eine religiöse Basis, von der aus verglichen und argumentiert werden könne. 


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