© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

"... auch das Beste geht im Sturz verloren"
Mit Blut besiegelt: Die "Moabiter Sonette" des vor sechzig Jahren hingerichteten Albrecht Haushofer
Thorsten Hinz

Am Spreeufer in Berlin-Moabit, direkt vor dem Innenministerium, steht seit Januar 2002 ein Denkmal für den Geographieprofessor, Widerständler und Schriftsteller Albrecht Haushofer. Zusammen mit zwölf anderen Gefangenen war der 42jährige Haushofer in der Nacht vom 23. auf den 24. April 1945 ohne Gerichtsurteil durch Genickschuß ermordet worden. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hatte er auf der Fahndungsliste der Gestapo gestanden, im Dezember 1944 war er verhaftet worden.

Der Sohn von Karl Haushofer, dem Theoretiker der Geopolitik, hatte früh Kontakte zum Widerstand geknüpft. Schon einmal, 1941, war er für kurze Zeit verhaftet worden, weil er als Vertrauter des "Führer-Stellvertreters" Rudolf Heß von dessen geplantem Schottland-Flug gewußt hatte. Die Erfolgsaussichten schätzte er angesichts der britischen Intransigenz allerdings als gering ein.

In den Denkmalsockel sind drei seiner Gedichte eingelassen. Sie heißen "Schuld", "Heimat" und "Rattenzug" und gehören zu den "Moabiter Sonetten", die Haushofer während der Haft im Gefängnis in der Lehrter Straße verfaßt hatte. Ein Sonett besteht aus 14 Zeilen, die sich auf zwei Quartette und zwei Terzette verteilen - eine strenge Form, die durch den gedanklichen Gehalt gerechtfertigt werden muß. Haushofer schrieb die Gedichte im Bewußtsein seines bevorstehenden Todes und des deutschen Zusammenbruchs. Sie enthalten neben seiner persönlichen Rechenschaft auch eine politische und kulturelle Bilanz.

Der "Rattenzug" wird angeführt von einem Rattenfänger von Hameln, in dem unschwer Hitler zu erkennen ist: "Voraus ein Pfeifer, der mit irren Klängen/ zu wunderlichen Zuckungen sie band." Er führt die Nager hinab zum Fluß, wo sie "Blut und Fleisch" wittern. Unterwegs verwüsten sie das Land, wer sich ihnen in den Weg stellt, den beißen sie zu Tode. Dann stürzen sie sich ins Wasser: "Der irre Laut ersäuft im Stromgebraus ... die Ratten treiben tot ins Meer hinaus ..."

Im Sonett "Schuld" wird das erwartete Urteil des Volksgerichtshofs - zu dem es im allgemeinen Chaos nicht mehr gekommen ist - vorweggenommen. Der Schuldspruch kann ihn nicht treffen, vielmehr bedeutet er eine Auszeichnung, denn: "Verbrecher wär' ich, hätt' ich für das Morgen / des Volkes nicht geplant aus eigener Pflicht." Seine wirkliche Schuld besteht darin, daß er nicht früher und schärfer die Konsequenz aus seinem tieferen Wissen gezogen habe: "(...) ich kannte früh des Jammers ganze Bahn - / ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar! / und heute weiß ich, was ich schuldig war ..."

Der Gestapo war es rätselhaft, daß Haushofer nicht versucht hatte, in die Schweiz zu fliehen. Das Gedicht "Heimat" gibt Auskunft über die Gründe: "Ich wollte nicht aus meiner Heimat gehn. / Sie schien mir lange guten Schutz zu gönnen. / Dann hat auch sie mich nicht mehr bergen können, / ich werde lebend sie kaum wiedersehn." Wenn nicht mehr lebend, so deutet die in der letzten Zeile enthaltene Tautologie an, dann eben als Toter. Die konkrete Heimat ist die Chriffre für ein Transzendentales, in das er einzugehen hofft. Sein Ausharren in Deutschland begriff er als Opfer, ein Selbstopfer, eine anbetende Selbstübergabe an Gott.

Es existieren 80 Moabiter Sonette. In der ersten offiziellen, 1946 erschienenen Ausgabe - herausgegeben von Rainer Hildebrandt, dem Gründer und langjährigen Leiter des Hauses am Berliner Checkpoint Charlie, dessen Witwe gerade für ein würdiges Gedenken an die Mauertoten kämpft - waren nur 79 enthalten. Es fehlte das Sonett "Bombenregen", das die hoffnungslose Lage des deutschen Widerstands zeigt, der eingezwängt war zwischen dem Terror der Nazis und dem Willen der Alliierten, den deutschen Nationalstaat zu zerschlagen. "Wir alle wissen wohl, daß unsre Leben / so billig sind wie Stroh -der deutsche Strick, / die Russenkugel jählings im Genick, / die Britenbombe sind als Los gegeben."

Haushofer war klar, daß der Krieg nicht nur auf eine militärische und politische die Niederlage Deutschlands, sondern auf seinen "Untergang" hinauslaufen würde. Im gleichnamigen Gedicht heißt es: "Wie hört man leicht von fremden Untergängen, / wie trägt man schwer des eignen Volkes Fall!" Nicht nur das Fluchwürdige, auch das Wertvolle würde ausgelöscht werden: "Ein Todesdrängen, aus dem Haß geboren, in Rachetrotz und Übermut gezeugt - nun wird vertilgt, gebrochen und gebeugt, / und auch das Beste geht im Sturz verloren."

In "Die großen Toten" stellt er sich die Frage, was von Deutschland noch bliebe, "wenn sich das deutsche Schicksal ganz erfüllt: / die Herren ohne Maß nur Knechte sind / und bleiben bis auf Kind und Kindeskind / wenn alles winseln wird, was heut brüllt", wenn eine Zeit heranbricht, in der "alles kriechen wird in Schmutz und Pein, / und nichts mehr zeugt von echter Leidenschaft". Er hoffte, "ein Kant, ein Bach, ein Goethe werden zeugen / noch lange für zerstörtes Volk und Land, / auch wenn die Menge nie den Sinn verstand".

Wurde sein Opfer verstanden? Haushofer wußte, daß das nationale Desaster ein totales würde. Er befürchtete, daß die Nachkommenden zu seinem Denken und Handeln keinen Bezug mehr herstellen könnten: "Wir sind die Letzten. Unsere Gedanken / sind morgen tote Spreu, vom Wind verjagt, / und ohne Wert, wo jung der Morgen tagt." - "auch unser ganzes Erbe wird Ruinen. / Noch kurze Weile zwischen toten Mauern / wird kümmerlicher Menschen Sorge dauern - / danach wird alles nur dem Efeu dienen."

Haushofer trug die Blätter mit den Sonetten bei sich, als ihn die tödlichen Schüsse trafen. Formal betrachtet, mögen sie konventionell und klassizistisch sein. Ihre Wahrhaftigkeit aber wurde buchstäblich durch Blut besiegelt.

Albrecht Haushofer (1903-1945): Zwischen 1934 und 1938 war Haushofer neben seiner Lehrtätigkeit an der Berliner Hochschule für Politik freier Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop. Nach Beginn des Zweites Weltkriegs distanzierte er sich zunehmend vom NS-Regime und knüpfte Kontakte zu verschiedenen Widerstandsgruppen, so zum Kreisauer Kreis und zur Gruppe um Carl Friedrich Goerdeler (JF 26/04).

Albrecht Haushofer: Moabiter Sonette. Mit einem biographischen Nachwort von Ursula v. Laack. Verlag Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1999/2001, brosch., 12 Euro.


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