© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/05 29. April 2005

Pankraz,
M. Heidegger und die Ökumene der Gläubigen

Müssen alle dasselbe glauben, damit dauerhafter Frieden und optimale Verständigung in die Welt einziehen können? Pankraz zweifelt daran. Er hat nichts gegen eine "Ökumene der Gläubigen", wie sie dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. am Herzen lag, aber er hat etwas dagegen, daß bestimmte Gläubige anderen Menschen ihren eigenen Glauben aufzwingen wollen, unter Umständen sogar "mit Feuer und Schwert". Das hält er für schlicht pervers.

Was einer glaubt, ist ja seine ganz und gar private, seine allerintimste Angelegenheit, die reservatio mentalis schlechthin. Ich kann zwar durch gute Argumente, eindrückliche Erfahrungen, gewaltige Beispielgeber zu einem Glauben bekehrt, doch nicht zu ihm gezwungen werden. Man kann mich höchstens dazu zwingen, so zu tun, "als ob" ich etwas glaubte, das heißt man kann mich zur Lüge zwingen, nicht zur Wahrheit. Ich "bekenne" dann; ob ich auch glaube, läßt sich nur schwer nachprüfen, wenn überhaupt.

Im späten römischen Reich in der Antike mußten alle an den Kaiser als an einen Gott glauben, mußten ihn gegebenenfalls anbeten und ihm Opfer darbringen. Den meisten Bürgern fiel das nicht schwer, sie glaubten üblicherweise an viele verschiedene Götter, warum sollte also nicht auch der Kaiser ein Gott sein? Die frühen Christen allerdings legten sich quer, denn sie glaubten nur an einen Gott und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn. Einige verweigerten sogar das Bekenntnis, um nicht in der Lüge leben zu müssen. Lieber nahmen sie das Martyrium auf sich.

Indes, die Zeiten änderten sich, das Christentum wurde zur Staatsreligion, und nun mußten sich alle zu Jesus Christus bekennen, oft unter Androhung des Todes oder des Ausschlusses aus der Gemeinschaft. Gerade das in der Märtyrerzeit gewachsene Bewußtsein, daß es in Fragen des Glaubens stets buchstäblich ums Ganze, um Tod oder Leben, Erlösung oder Verdammnis ging, führte zur krassesten Unduldsamkeit abweichenden Glaubensinhalten und -ritualen gegenüber.

Die seit Zarathustra bekannte Unart, zwischen "Gläubigen" und "Ungläubi­gen" zu unterscheiden, wurde ins Extrem getrieben. Kein "Ungläu­biger" konnte einen mehr gleichgültig lassen, er wurde zum unerträglichen Störfaktor, der den Heils­lauf der Welt aufhielt, sich ihm sogar ruchloser­weise entgegenstellte. Man begann früh schon die Frage aufzuwerfen, ob es für solche "Ungläubigen" nicht besser wäre, wenn man sie gewaltsam vom Leben zum Tode beförderte.

Und jene "Heiden" draußen auf dem flachen Lande - die konnte man ebenfalls nicht mehr unbehelligt lassen. Man mußte sich zu ihnen begeben, um sie mit dem rechten Glauben bekannt zu machen, mußte sie "missionieren". "Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker" - dieses bibli­sche Gebot gewann plötzlich ungeahnte Dimensionen, und zwar ganz überwiegend verhängnisvolle.

Bei den Erobe­rungen des alten Roms waren die Götter in den eroberten Gebieten und ihre Tempel und Heiligtümer weitgehend unangetastet geblieben und traten mit den mitgebrachten Göttern der Eroberer in einen friedlichen Wettbewerb und rituellen Austausch. Jetzt änderte sich das. Die christlichen Eroberer zerstörten nach ihrem Sieg zuallererst die Tempel und vertrieben zuallererst die autochthonen Götter Der Islam ist dieser Methode später gefolgt, und der Bekehrungseifer der beiden großen Missionsreligionen hat faktisch das ganze Mittelalter geprägt und auch viel Unheil angerichtet.

Als in der frühen Neuzeit im christlichen Abendland die sogenannte Säkularisierung einsetzte, änderten sich die Glaubensinhalte, doch am grundsätzlichen Verhältnis zwischen Glauben und Wissen änderte sich nichts. Das Wissen, dessen sich jedermann, welcher Glaubensrichtung auch immer, ohne Skrupel bediente, beschränkte sich weiterhin auf Dinge und Funktionen des alltäglichen Umgangs, auf Technik und Bequemlichkeit; alles, was darüber hinausging, verblieb im Bereich des Glaubens.

Typisch neuzeitliche, der "Moderne" entsprechende Glaubensinhalte waren "die Atome" und, ähnlich wie im Buddhismus, "das Nichts". Der alte Glaube an eine "erlöste", von Leid und Ungerechtigkeit dauerhaft befreite Menschheit verlagerte sich aus dem Jenseits in eine diesseitige, angeblich (wieder einmal) nahe bevorstehende Zukunft. Es gibt nach wie vor Kaiserkulte (Führerkulte), zu denen man sich bekennen muß, es gibt nach wie vor Glaubenskriege und mörderische Exzesse gegen Leute, die erklärtermaßen nicht an bestimmte religiös aufgeladene Politprogramme glauben.

Eine "Ökumene der Gläubigen" anzustreben, kann unter diesen Umständen eigentlich nur bedeuten, daß die erlauchtesten Glaubensverwalter sich brüderlich zusammenfinden und gemeinsam wirkungsvoll bekunden, daß es eine solche Ökumene nicht geben kann. Oder besser: daß es sie nur in der unendlichen Vielfalt jener differierenden Glaubensinhalte geben kann, wie sie in den Herzen und Seelen der Individuen, Völker und sonstigen natürlichen bzw. historischen Gemeinschaften lebendig sind.

"Einheit in der Vielfalt" hieß seinerzeit der Wahlspruch des von Johannes Paul II. inspirierten ökumenischen Glaubenstreffens in Assisi. Umgekehrt wäre es noch besser gewesen: "Vielfalt in der Einheit". Nur in der weitesten Vielfalt ist der Glaube des Menschen jene gewaltige universale Kraft, jene einzige "Wahrheit", von der sich ohne Erröten sprechen läßt. Keine andere Macht der Welt kann sie austilgen.

Sie darf und soll sich durchaus bekennen, soll Symbole aufrichten und um Nachfolge werben. Aber jeder Zwang, auch nur jeder Anflug von Zwang, ist von Übel, weil er direkt in die Lüge führt. "Unsere Existenz", hat Heidegger gezeigt, "steht sowohl in der Wahrheit wie in der Unwahrheit." Die "Ökumene der Gläubigen" kann dafür sorgen, daß die Wahrheit die größeren Schatten wirft.


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