© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Kolumne
Mehr als ein Schutthaufen
Klaus Hornung

Die Junge Union Sachsen-Niederschlesien bringt es auf den Punkt: "Politische Tabus, politische Korrektheit und postnationale Identität bilden nicht das einigende Band, das die Menschen in Deutschland zusammenhält." Der 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation macht es erneut deutlich: Der Versuch meinungsbildender Kommandohöhen und der Politik, ein einheitliches, aber einseitiges Bild unserer (Zeit-) Geschichte durch "moralisch bewehrten Befehl" (Herbert Kremp) zu verordnen - Stichwort "Befreiung" - bringt dieses einigende Band nicht zustande. Er spaltet, denn dieses Geschichtsbild geht auf die parteiliche Geschichtsdoktrin des Antifaschismus und seine sowjetkommunistischen Wurzeln zurück. Der in Deutschland verbreitete "historische Analphabetismus" (Alfred Heuß) macht es möglich, daß diese Parteilichkeit sich gerade bei uns ausbreiten kann.

Nichts ist heute für uns dringlicher als die "einschüchternde Wirkung" des Antifaschismus (François Furet) und seiner parteilichen Teilwahrheiten endlich zu überwinden durch das Bemühen um die ganze Wahrheit der Geschichte, das nie abgeschlossen ist und stets "revisionistisch" bleibt, ein Begriff, den die Macher des Zeitgeistes zu Recht fürchten. Immer wieder und immer noch soll der braune Koloß der Nazizeit dazu dienen, unsere ganze Geschichte seit Karl dem Großen unter sich zu begraben, sie zuzudecken, gleichsam einzudampfen auf die Katastrophe jener zwölf Jahre, auf daß "Auschwitz" zum "Gründungsmythos" des demokratischen Deutschland (Joseph Fischer) proklamiert werden kann. Längst erweist sich die achtundsechziger Kulturrevolution als strategisches Abbruchunternehmen gegen unsere Geschichte. Nicht zuletzt ihr Ergebnis ist unsere heutige Identitäts-, Sozial- und Wirtschaftskrise, der deutsche "Phönix in Asche", wie der unvergessene Johannes Gross früh erkannte.

Auf der Tagesordnung steht das Ende des Versuchs der "Tribunalisierung", Kriminalisierung unserer Geschichte und die Aufgabe, sie neu zu vergegenwärtigen, wie es etwa der "Alt-Achtundsechziger" Rüdiger Safranski derzeit mit seiner schönen Schiller-Biographie unternimmt. Die deutsche Geschichte ist mehr als der Schutthaufen von 1945. Nur aus dem Bemühen um ihre ganze Wahrheit kann das wahrhaft einigende Band und ein neues unverkrampftes Selbstwertgefühl der Deutschen erwachsen. Sie wären der wichtigste und schönste Ertrag aus der Debatte um den 8. Mai, 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim.


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