© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Extremisten und Lichtgestalten
Episch: Mit Ridley Scotts "Königreich der Himmel" fängt der Kinosommer gut an
Michael Insel

Zweitausendvier war kein gutes Jahr für den Historienstreifen: Oliver Stones "Alexander" fand bei den Zuschauern wenig Gnade, Wolfgang Petersens "Troja" wurde von den Kritikern gnadenlos zerrissen, und Antoine Fuquas "König Arthur" vermochte weder die einen noch die anderen zu begeistern. Nun wagt sich Ridley Scott, der 2000 mit "Gladiator" das Interesse an diesem Genre erst wiedererweckte, ausgerechnet an die Kreuzzüge heran, über die bislang noch kein Regisseur einen echten Renner drehen konnte.

Die inhaltlichen Kontroversen begannen noch vor den Dreharbeiten: Bezichtigte der Cambridge-Historiker Johnathan Riley-Smith Scott, "Osama bin Ladens Version der Geschichte" in die Kinos zu bringen, so sah Khaled Abu el-Fadl von der University of California in Los Angeles Muslime als "stupide Maschinen" porträtiert, die "wie die Irren 'Allah akbar' schreien". Daß der fertige Film sich nun als gelungene Mischung aus Fiktion und Fakten erweist, ist eine angenehme Überraschung - weder anti- noch proislamisch, weder anti- noch prochristlich, dafür äußerst kurzweilig, und einen Einblick in einen der blutigsten Abschnitte der europäischen Geschichte erhält man obendrein.

Die Handlung beginnt 1185, neunzig Jahre, nachdem Papst Urbans II. die Gläubigen beim Konzil von Clermont zur Befreiung der heiligen Stätten aufrief. In einem französischen Bergdorf trauert der Schmied Balian (Orlando Bloom) um seine Frau und seinen Sohn. Da trifft es sich vorzüglich, daß der Hospitaliter-Ritter Godfrey von Ibelin (Liam Neeson) hoch zu Roß auftaucht, Balian verkündet, er sei sein Vater, und ihn einlädt, sich seinem Troß ins Heilige Land anzuschließen. Unterwegs wird Godfrey bei einem Gefecht tödlich verwundet und vermag gerade noch, den illegitimen Sohn zum Ritter zu schlagen. Ganz ähnlich wie Maximus in "Gladiator" begibt sich Balian auf eine Suche nach Erlösung, als er die tückische Reise übers Mittelmeer antritt.

In Jerusalem angekommen, befolgt er den letzten Wunsch seines Vaters und schwört dem christlichen König Balduin IV. (Edward Norton) Treue. Während seiner kurzen Herrschaft über die Stadt zwischen dem zweiten und dritten Kreuzzug hat der schwerkranke König, der sein von Lepra zerfressenes Gesicht hinter einer Maske aus Silber verbirgt, mit Hilfe seines militärischen Beraters Tiberias (Jeremy Irons) - eine fiktive Gestalt mit historischem Vorbild - einen brüchigen Waffenstillstand mit dem Sarazenen-Führer Saladin (der syrische Star Ghassan Massoud) geschlossen.

"Extremisten", so nennt das Presseheft zum Film sie, wie dem Templer Guy von Lusignan (Martin Csokas) behagt soviel mittelalterliches Gutmenschentum überhaupt nicht: Sie wollen keine tolerante Gesellschaft, eine pluralistische schon gar nicht, sondern die Vernichtung der Ungläubigen. So erzwingen sie in der Schlacht bei Hattin die Konfrontation mit Saladins überlegener Armee, was wiederum zur Folge hat, daß sich Balian als Held wider Willen zum Verteidiger des belagerten Jerusalem und seiner Bewohner aufschwingt.

"Königreich der Himmel" ist mehr als eine Aneinanderreihung computergraphisch unterstützter Kampfszenen, die lose durch romantische Nebenhandlungen zusammengehalten werden. Natürlich dürfen die Grundelemente des epischen Kinos hier nicht fehlen: Balians Liebe zu Sybilla (Eva Green), der Schwester Balduins und Ehefrau Guy de Lusignans, die spektakulär choreographierten Szenen, in denen die Kreuzritter sich um ein riesiges goldenes Kreuz scharen, die lebensgroß in der marokkanischen Wüste nachgebaute Replik der Jerusalemer Zitadelle ...

Im Mittelpunkt steht jedoch Balians Sinnkrise. Was er auf seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land erlebt, raubt ihm jeden Glauben an das Gute im Menschen. Bloom, der nicht Scotts erste Wahl für diese Rolle gewesen sein soll (angeblich hätte er den britischen Schauspieler Paul Bettany bevorzugt), läßt seine enttäuschende Darbietung eines rehäugigen, tuntigen Paris in "Troja" vergessen und erweist sich als durch und durch überzeugender Hauptdarsteller. Erwähnenswert auch David Thewlis in einer Nebenrolle als Hospitaliter-Ritter. Kameramann John Mathieson verleiht dem Film eine magische Aura.

Bin Ladens Sicht der Geschichte ist das nicht, George W. Bushs auch nicht, jedenfalls aber eine dezidiert neuzeitliche: Statt christlicher Märtyrer im Kampf gegen die islamischen Horden zeigt Scott fundamentalistische Eiferer auf beiden Seiten, gegen die Lichtgestalten wie Balduin, Tiberias und Saladin keine Chance haben. "Manche waren aus den richtigen Gründen dort, manche aus den falschen" - damit meint er nicht nur religiösen Fanatismus, sondern vor allem Raffgier, die gerade die jüngeren Söhne des europäischen Adels in der Hoffnung auf Landbesitz gen Osten trieb. Der Templerorden, der nach der Eroberung Jerusalems 1099 die Sicherung der Pilgerstraßen übernahm, hatte Mitte der 13. Jahrhunderts genug Reichtümer angehäuft, um die größte Flotte des Mittelalters zu unterhalten und die Erfindung des zahlungslosen Bargeldverkehrs erforderlich zu machen.

Mögen sich die Akademiker über historische Authentizität und ideologische Instrumentalisierung streiten - derart unterhaltsame und dabei zu Diskussionen und weiterführender Beschäftigung mit dem Thema anregende Blockbuster laufen längst nicht jede Woche an! Besser könnte der Kinosommer kaum anfangen. 

Foto: Edward Norton als Balduin der Aussätzige (1161-1185): Gelungene Mischung aus Fiktion und Fakten


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen