© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Ohne Jubel
Interniert im Warthegau
Frank v. Hoyningen-Huene

Die Kirchenglocken läuteten unentwegt. Ich saß am 8. Mai 1945 als Hütejunge eines polnischen Bauern mit meiner Mutter neben der Scheune auf einem Holzstoß. Auf der Flucht war ich hier als Kind während des "Trecks" mit unseren Pferden aus dem damaligen Warthegau ins Dorf Schätzingen bei Mogilno verschlagen worden. Nach der Umsiedlung aus dem Baltikum war es mit meinen erst acht Jahren bereits die zweite Flucht.

Das penetrante Geläut war mir damals unerklärlich. Uns waren als deutsche Internierte keinerlei Informationen über den Kriegshergang zugänglich. Wir waren vogelfreie, billige Arbeitskräfte, die nur die Kleider, die wir bei der Flucht trugen, gerettet hatten. Deutsch zu sprechen, war uns verboten. Sehr bald jedoch wurden wir von den jubelnden, teils betrunkenen Polen über den Anlaß verständigt. Wir hatten den Krieg verloren. Der Hitlerstellvertreter, Karl Dönitz, hatte gerade die Kapitulation unterzeichnet.

Zum Jubeln war mir damals keineswegs zumute. Ich fühlte mich unter Polen als Deutscher. Ich war traurig, ja verzweifelt. Hatte ich doch die vielen toten Soldaten auf den Straßen, später die Erschießungen und Vergewaltigungen unter den Flüchtlingen aus dem deutschen Osten vor Augen.

Nicht zu vergessen der hohe Blutzoll unserer Soldaten, die meist einst voller Hoffnung waren.

Keineswegs hatte ich persönlich diese Situation damals am 8. Mai 1945 als einen Tag der Befreiung empfunden, obwohl es für viele auch eine Erlösung war. Meine Internierung in Polen trat jetzt erst recht in Kraft und meine Aufgabe als Hütejunge ohne Schulbesuch setzte sich fort.

Frank v. Hoyningen-Huene, Wientorf


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