© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Räuberbanden
Kriegsende in Sachsen-Anhalt
Harald Hesse

Aus einer Internatsschule im Ostharz, ab dem 8. April 1945 "Festung Harz", wurde ich am 29. März 1945 nach Dodendorf bei Magdeburg in den Osterurlaub geschickt. Die abenteuerliche Reise mit der Eisenbahn unter Tieffliegergefahr, anschließendem Fußmarsch, Straßenbahnfahrt und erneutem Fußmarsch endete in den Armen meiner glücklichen Mutter. Mein Vater war im Februar 1943 im Mittelabschnitt in Rußland gefallen.

Zahlreiche Bombenangriffe der Engländer und Amerikaner auf Magdeburg und Umgebung versetzten uns zu Hause in Angst und Schrecken. Wir hatten auf engstem Raum geflüchtete Magdeburger aufgenommen. Nach stundenlanger Flugzeugaufklärung der Amerikaner und Zurücknahme der Wehrmacht an den Stadtrand von Magdeburg wurde im Dorf die weiße Fahne gehißt. Am 13. April 1945 rollten die Panzer und motorisierten Verbände der amerikanischen 9. Armee in die Ortschaft ein.

Wir befanden uns mit unseren Müttern in den Kellern, die Frauen und Mädchen aus Angst mit geschwärzten Gesichtern, unordentlichen Haaren und schlechten Kleidern. Nach den ersten Treffen unter vorgehaltener Waffe entspannte sich die Situation. Innerhalb weniger Stunden mußten mehrere Höfe und Wohnhäuser geräumt werden, in die sich die Sieger einquartierten. Ich sah erstmalig schwarze Soldaten. Das Interesse der Amerikaner richtete sich auf Waffen, Fotoapparate, Radios, Orden und Schmuck.

Einige in der Landwirtschaft beschäftigte Ausländer beraubten uns von Fahrrädern, Vorräten und vielem anderen. Sie bildeten bewaffnete Banden. Es kam zu Racheakten und Raubüberfällen. Im Juni zog die britische Armee, darunter auch Schotten im Kilt, in den Ort. Sie blieben nur kurze Zeit, bis am 1. Juli die Rote Armee unser Dorf besetzte.

Harald Hesse, Magdeburg


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