© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Nun ist Ruhe
Kapitulation in Kopenhagen
Hermann Ulrich

Im Heiligenbeiler Kessel schwer verwundet, in papierne Leichensäcke eingeschnürt, mit russischen Panjekutschern über das Eis des Frischen Haffs nach Pillau, von dort mit einem Hilfskreuzer nach Danzig, von da mit einem Großlazarettschiff nach Kopenhagen, liege ich jetzt auf einer Offiziersstube in einer ausgeräumten Schule. Es ist morgens, als ein am Fenster liegender Kamerad ruft: "Da stimmt was nicht, die Ivans holen die Fahne runter". Russische Hilfswillige des Lazaretts ziehen die Reichskriegsflagge ein. Im selben Moment fahren zwei Lkws vor, etwa 40 Mann - dänische "Freiheitskämpfer" besetzen unser Lazarett. Unser Oberstabsarzt verhandelt mit dem Kommandoführer, einem Oberleutnant der von uns 1940 aufgelösten dänischen Armee sehr geschickt die Übergabe unseres Lazaretts nach den Regeln der Genfer Konvention. Die dänischen "Frihetskempere" durchsuchen angeblich das Lazarett nach Waffen. In Wirklichkeit aber wollen sie filzen. Plötzlich erschallt auf unserem Flur der Ruf: "Sie kommen!" "Herr Hauptmann, jetzt müssen Sie was machen!" Ich ziehe schnell meinen Uniformrock über den Schlafanzug, stelle mich mit ausgebreiteten Armen in die Tür und rufe: "Halt - wir sind eine Offiziersstube - Genfer Konvention - Wir lassen uns nur von Offizieren durchsuchen." Sie stutzen, tuscheln und verschwinden. Nach einer Stunde kommen sie wieder mit zwei Kriminalbeamten, die ihre Dienstmarken zeigen. Plötzlich ist die Stube voll. "Dänisch Geld, dänisch Geld" wird immerzu gerufen. Keiner von uns sagt was. Da greift einer in die Tasche meiner Reithose und zieht 200 Kronen raus. Ein Schrei! Ich werde in die Mitte des Raumes gestoßen, man reißt mir die Sachen vom Leibe, ich muß die Hände hochheben, fünf Kerle pressen mir Mündungen ihrer Maschinenpistolen an die Rippen. In diesem Moment erscheint ein Zeitungsreporter und schießt seine Fotos. Andern Tags erscheine ich auf der Titelseite von Berlingske Tidende in Großaufnahme mit der Unterschrift: "Dänische Freiheitskämpfer verhaften deutschen Kriegsverbrecher."

Es ist der 5. Mai. Generaloberst Lindemann, Wehrmachtsbefehlshaber Dänemark, hat in seinem Befehlsbereich kapituliert. Ein britischer General muß nach Kopenhagen geflogen werden, da die englischen Landtruppen erst bei Lüneberg sind.

Im Freihafen liegen die letzten intakten Kriegsschiffe der Marine, der schwere Kreuzer "Prinz Eugen" und der Kreuzer "Nürnberg". Am 7. Mai versuchen etwa 300 Frihetskempere die Schiffe zu stürmen. Der Kommandant von "Prinz Eugen" läßt die Waffen herumdrehen und hält dazwischen. Tote säumen die Pier. Die Dänen karren bis zu 800 Mann für einen erneuten Angriff heran. Da schickt der Kommandant einen Parlamentäroffizier mit einer weißen Fahne von Bord und läßt ausrichten: "Wir haben nicht vor den Dänen kapituliert, sondern vor den Engländern. Wenn sie nicht sofort mit den Angriffen aufhören, läßt er die 28-Zentimeter-Türme runddrehen und Kopenhagen in Klump schießen."

Nun ist Ruhe. Aber die Wut muß sich anderweitig Luft verschaffen. So fahren die Frihetskempere mit ihren Lkws durch die Stadt und schießen mit ihren auf die Lkw aufmontierten Zwei-Zentimeter-Kanonen in die Gebäude, die mit Deutschen belegt sind. Meine Wunden an Brust und Schulter "buttern" mächtig. Ich sitze mit entblößtem Oberkörper auf dem Bett und soll neu verbunden werden. Da schlägt eine Zwei-Zentimeter-Granate in das Fensterkreuz. Die Schwester kriegt einen Splitter in den Kopf und fällt mir über die Füße. Ich bekomme mehrere Splitter in den Rücken - zwei Tage nach der Kapitulation 15 neue Verwundete im Lazarett.

Die englischen Landtruppen sind nun heran. Sie gehören zur 8. Panzerdivision, die gegen Rommel kämpfte. Die Tommis gehen in Geschäfte und lassen sich einpacken. Dann sagen sie: "Bye, bye". "He, betaler!" rufen die Kaufleute. "Wir sind doch Gäste, wir haben euch doch befreit!"

Juli 1945 Schiffstransport von Kopenhagen nach Kiel. Von dort ins Sperrgebiet Ostholstein. Wir sind besiegt worden. Das Kriegende war für uns eine Niederlage. Von einer Befreiung, wie sie der Adjutant meines Regiments, Richard von Weizsäcker, 1985 feststellen zu müssen glaubte, habe ich nichts gemerkt außer daß mich die britischen Soldaten auf dem Transport ins Sperrgebiet von meinem goldenen Ehering und meiner Armbanduhr "befreiten".

Hermann Ulrich, Reutlingen


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