© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/05 13. Mai 2005

New Economy: Viele Flops und wenig Überlebende
Die Rückkehr der Helden
Frank Liebermann

Peter R. war selbständiger Unternehmensberater. Der promovierte Volkswirt beriet große Firmen wie IBM, HP und Porsche im Finanzbereich. Tagessätze von 3.000 Mark waren für den sportlichen Finanzexperten die Regel. Ein schickes Haus in einem Stuttgarter Vorort, eine Ferienwohnung am Bodensee und eigenes Motorboot zählten zu seinem Besitz. Fernreisen und schicke Restaurants gehörten ebenso zu seinem Alltag wie sein finanziell aufwendiges Hobby Golfspielen. Alles lief gut für den damals 58jährigen. Auch die Altersversorgung war gesichert. Eine Lebensversicherung und ein selbstverwaltetes Wertpapierdepot sollten Peter R. einen sorglosen Lebensabend sichern. Vor allem die Technologieaktien hatten es dem Familienvater angetan. In kürzester Zeit erzielte er Renditen von über 40 Prozent. Das ging auch lange Zeit gut. "Das Geld hat sich von alleine vermehrt. Egal, was ich kaufte, die Kurse stiegen fast immer", erzählt Peter R. heute.

Kanzler Schröder meinte: "Das ist mein Aufschwung"

Es ist jetzt fast genau fünf Jahre her. Im Frühjahr 2000 kam der große Crash an den weltweiten Börsen. Besonders schlimm erwischte es den Nemax, den Börsenindex für den "Neuen Markt". Ziel war es, jungen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich über die Börse Kapital zu beschaffen. Und was für Unternehmen! Frischgebackene Abiturienten wurden zu Vorstandsvorsitzenden, während Studienabbrecher, Langzeitarbeitslose und andere Versager zum "Head of Marketing" oder "Sales Manager" avancierten.

Niemand war zu blöde, jeder durfte bei der New Economy mitmachen, war er nur bereit, an das neue Wunder zu glauben. Große etablierte Unternehmen schauten den Neulingen belustigt zu, profitierten sie doch vom wachsenden Markt gleich mit. Von 1997 bis 2000 war der "Neue Markt" eine einzige Erfolgsgeschichte. Der Index stieg von 1.000 Punkten bis auf 9.631 Punkte im Jahr 2000. Über 300 Unternehmen wurden zu diesem Zeitpunkt am "Neuen Markt" gehandelt. Die sogenannte "New Economy" sollte entstehen. Das war der Aufschwung, von dem Bundeskanzler Gerhard Schröder meinte: "Das ist mein Aufschwung!" Der Kanzler bekam die Unternehmen, die zu ihm paßten.

Den ersten Schlag setzte es am 10. März 2000. Peter R. wurde davon völlig überrascht. Der Nemax stürzte mehrere Tage in Folge ab. Innerhalb einer Woche verlor der Index über 400 Punkte. Noch war sich Peter R. unsicher. Während die institutionellen Anleger schon vor dem März das sinkende Boot verlassen hatten, glaubte er noch immer, daß sich alles ja einmal wieder erholen mußte. In fallende Märkte zu kaufen, hielt er für eine kluge Strategie. Schneller, als er denken konnte, war die Ferienwohnung am Bodensee verzockt. Hoffnung setzte immer wieder ein, wenn kurze Erholungsphasen kamen. Allerdings waren diese nur Vorboten von weiteren Kursabstürzen. Nachdem Peter R. keine Wohnung mehr am See hatte, fiel ihm die Trennung vom Motorboot um so leichter.

Gerne erinnern wir uns auch daran, wie Gewerkschaften und Sozialdemokraten beim Börsengang von Infineon forderten, daß nicht nur die großen Anleger zu berücksichtigen seien, sondern auch die kleinen Leute, schließlich sollten auch sie vom Börsensegen profitieren. Ein "Tschakka-Tschakka"-Trainer wie Jürgen Höller bekam von Investoren 2,5 Millionen Euro noch vor dem Börsengang. Das Ganze floppte, große Teile des Vermögens wurden veruntreut. Inzwischen ist Höller wegen Veruntreuung zu drei Jahren Haft verurteilt.

Als im Oktober 2002 der Nemax seinen vorläufigen Tiefpunkt hatte, wollten die Genossen selbstverständlich nicht mehr an die alte Forderung erinnert werden. Der Index notierte nur noch bei 318 Punkten. Innerhalb von 31 Monaten hatte er 96 Prozent seines Wertes eingebüßt. Aktien, die vor kurzem noch über 200 Euro kosteten, hatten auf einen Schlag nur den Wert von ein paar Cents. Aber nicht nur die neuen Unternehmen wurden von der Entwicklung getroffen. Auch Branchenriesen wie die deutsche Telekom oder SAP hatten deutliche Verluste zu verzeichnen. Im Dezember 2004 wurde der Nemax endgültig eingestellt.

Die Krise scheint vergessen. In den USA steigen die Technologieindizes stärker als die restliche Börse. IT-Unternehmen wachsen stärker als der Rest der Wirtschaft, und die Nachfrage nach Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt steigt. Von der Rückkehr der New Economy wird wieder gesprochen. Die stärksten haben überlebt, die anderen sind verschwunden. Firmen wie Google, Amazon und Ebay verdienen mit dem Internet viel Geld und haben sich etabliert. Auch der IT-Dienstleister Sinner-Schrader schreibt wieder schwarze Zahlen, und auch Peter R. ist zuversichtlich. Er spekuliert wieder: "Aber diesmal steige ich rechtzeitig aus."

Foto: New-Economy-Stars Oliver Sinner (l.) und Matthias Schrader: Alle Höhen und Tiefen kennengelernt


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