© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Wie einst in Hessen
Nordrhein-Westfalen: Vor den Landtagswahlen wächst in der CDU die Angst vor einem plötzlichen Meinungsumschwung / Vorsprung in den Umfragen schmilzt
Josef Hämmerling

Schafft es die CDU nach der Bundestagswahl 2002 erneut, einen schon fast sicher geglaubten Sieg zu verschenken? Denn auch in Nordrhein-Westfalen wird das Rennen immer knapper und schmilzt der Vorsprung der Union wie die Gletscher in den Alpen.

Am Sonntag sind in dem Bundesland rund 13,3 Millionen Bürger, darunter 950.000 Erstwähler, aufgerufen, die 181 Abgeordneten des Landtages in Düsseldorf zu wählen. Stand Anfang des Monats noch zu erwarten, daß Schwarz-Gelb mit einem etwa neunprozentigen Abstand vor Rot-Grün als Sieger aus den Landtagswahlen hervorgehen wird, die als deutschlandweiter Stimmungstest gelten, wird es nach Ansicht der Demoskopen nun doch wieder spannend. Nach einer am Pfingstmontag vom WDR veröffentlichten Infratest-dimap-Umfrage kommt die CDU derzeit nur noch auf 43 Prozent der Stimmen (minus zwei Prozentpunkte seit Anfang Mai), während die SPD mit einem Stimmenanteil von 37 Prozent rechnen darf (plus zwei Prozentpunkte). Für die Grünen und die FDP werden jeweils 7,5 Prozent vorhergesagt. Zum Monatsbeginn lagen die Grünen noch bei acht Prozent und die Liberalen bei sieben Prozent. Damit ist der Vorsprung von Schwarz-Gelb also auf nur noch sechs Prozentpunkte geschmolzen.

Was dennoch nach viel aussieht, relativiert sich schnell, wenn man bedenkt, daß Infratest zufolge noch 23 Prozent der Wähler unentschlossen sind, welcher Partei sie ihre Stimme geben. Und nach einer von der Welt am Sonntag veröffentlichten polis-Umfrage stieg der Anteil der Wähler, die sich erst "in den letzten Tagen" vor der Wahl entscheiden wollen, seit März von 13 auf 17 Prozent. Ein weiterer Gefahrenpunkt ist die große Sympathie, die Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) hat. So würde bei einer Direktwahl der amtierende Ministerpräsident 45 Prozent der Stimmen erhalten, sein Herausforderer Jürgen Rüttgers (CDU) dagegen nur 29 Prozent.

Gründe für den Rückgang der Umfragewerte für die CDU gibt es viele. So unter anderem die mehr als unnötige Äußerung von Rüttgers, das Christentum stehe über allen anderen Religionen. Für viel Unruhe sorgte auch seine Äußerung zu den Plänen von Rot-Grün, die Kohlesubventionen beibehalten zu wollen, daß mit ihm keine Verträge geschlossen wurden. Dies löste besonders im Ruhrgebiet zum Teil massive Kritik aus. Der entscheidende Wendepunkt war aber die erste von zwei Fernsehdebatten am 5. Mai. So erklärten 48 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut forsa befragten Zuschauer, Steinbrück habe das Duell gewonnen. Dagegen sahen nur 24 Prozent Rüttgers vorn. So hält es dann auch der Gründer der Forschungsgruppe Wahlen, Dieter Roth, nicht für ausgeschlossen, daß SPD und Grüne in den letzten Tagen vor der Landtagswahl das Blatt an Rhein und Ruhr noch wenden können.

Das gleiche habe man vor sechs Jahren auch in Hessen gesehen, sagte Roth dem Berliner Tagesspiegel. Dort sei die Entscheidung erst in der letzten Woche vor der Landtagswahl gefallen und habe der CDU die Mehrheit beschert. Ein Problem könne für CDU und FDP auch werden, sagte Roth weiter, daß immer mehr Bürger weder der rot-grünen Landesregierung noch der Opposition eine Lösung der drängendsten Probleme zutrauen.

In Zeiten solch politischer Perspektivlosigkeit blieben viele Wähler ihrem bisherigen Abstimmverhalten treu und wählten dieselbe Partei wie vor fünf Jahren. Und das wiederum könnte sich positiv für die SPD auswirken.

Infratest gibt in diesem Punkt allerdings Entwarnung für die Union und die Liberalen. So sprachen sich wie eine Woche zuvor unverändert die Hälfte der Befragten für einen Regierungswechsel aus, während die Zahl derjenigen, die einen Beibehalt der rot-grünen Landesregierung wollten, um fünf Prozentpunkte auf nur noch 36 Prozent sank.

Mitentscheidend wird auch die Wahlbeteiligung sein, die schon im Jahr 2000 bei nur 56,7 Prozent lag. Für den 22. Mai erwarten Wahlforscher einen weiteren Rückgang. Dieser könnte ihrer Ansicht nach aber zu Lasten der SPD und der Grünen gehen, da es diesen beiden Parteien immer schwerer fällt, ihre Wähler besonders wegen der "Enttäuschung zu Hartz IV und der Agenda 2010" zu mobilisieren.

Die kleinen Parteien können von der Unzufriedenheit über die etablierten Parteien nicht profitieren. So wird für die restlichen elf Parteien ein gegenüber 2005 unveränderter Stimmenanteil von rund fünf Prozent erwartet. Damit werden aller Voraussicht nach NPD und Republikaner ihr Ziel weit verfehlen, in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz sieht aber nach einem Bericht des WDR die Möglichkeit, daß die Republikaner, "die sich bemühen, ihre rechtsextremistische Grundhaltung in öffentlichen Aussagen zu verschleiern", zwei Prozent der Stimmen erhalten. Die NPD, die sich mit der DVU auf ein Wahlbündnis einigte, komme dagegen wohl nur auf knapp über ein Prozent.

Dennoch würde dies einen warmen Geldsegen für beide Organisationen bedeuten, da allen Parteien, die mehr als ein Prozent der Stimmen bekommen, eine Wahlkampfkostenerstattung zusteht. Bei der NPD wären dies den Prognosen zufolge etwa 85.000 bis 90.000 Euro und bei den Republikanern das Doppelte. Bei allen anderen Parteien erwarten die Wahlforscher jeweils deutlich unter ein Prozent aller Stimmen. Das gilt auch für die noch vor wenigen Monaten mit großen Hoffnungen gestartete Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), die vor allem aus enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern besteht.

Foto: Rüttgers (li.), Steinbrück im Wahlkampf: Ein Machterhalt der SPD ist nicht mehr ausgeschlossen


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