© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Neue Zivilreligion für Europa
Andreas Mölzer

Das dieser Tage in Berlin eröffnete Holocaustmahnmal ist wohl das Musterbeispiel der neuen Gigantomanie der Vergangenheitsbewältiger. Ein Menschenalter nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges werden hier Kultstätten einer neuen Zivilreligion geschaffen. Die Gedenkfeiern an das Kriegsende und an die Befreiung der diversen NS-Konzentrationslager nehmen parallel dazu beinahe schon liturgischen Charakter als Weihefeste dieser neuen Zivilreligion an."

Diese Aussagen eines Lesers der Wiener Wochenzeitung Zur Zeit mögen überzeichnet sein, sie treffen aber das Gefühl vieler Zeitgenossen, denen das exzessive Erinnern der vergangenen Wochen längst zuviel wurde. Das, was der Historiker Lothar Höbelt jüngst in einem Vortrag forderte, daß aus der bisherigen Vergangenheitsbewältigung so etwas wie eine "Erinnerungskultur" werden müsse, ist nämlich längst noch nicht Realität. Vielmehr zeichnen sich auch die jüngsten Gedenkfeiern durch volkspädagogisch orientierte Pseudomoral und zeitgeschichtliche Schuldzuweisungen aus, hinter denen man allzu leicht das vae victis der Sieger und das Diktat der political correctness zu erkennen vermag.

Jene Entwicklung, die da vor einigen Jahren eingesetzt hat und in einer Art historischem Ausgleich auch die Tragödien der Unterlegenen geschildert hat, zeitgeschichtliche Dokumentationen über den Bombenkrieg, über den Untergang der Wilhelm Gustloff, über die Vertreibung der Volksdeutschen und ähnliches, diese Entwicklung scheint wieder einmal gegenstandslos geworden zu sein. Die Leiden der Besiegten waren bei den Erinnerungsfeiern dieser Tage kein Thema. Auch dem Vorstoß des Verfassers dieser Zeilen, daß das EU-Parlament einen europaweiten Gedenktag für die Bombenopfer des Zweiten Weltkriegs beschließen möge, wurde nicht Folge geleistet. Politisch korrekt wurde vielmehr ausschließlich der "Verbrechen im deutschen Namen" gedacht. Und auf Dutzenden Fernsehkanälen waren mehr oder weniger fortlaufend Dokumentationen und mehr oder minder sinnvolle Darstellungen der jüngeren Geschichte zu sehen, die genau diesem Geschichtsbild entsprachen. Zu guter Letzt wurde noch Hitlers Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister Albert Speer als brauner Großverbrecher geoutet, um endgültig den Rest des Bildes vom "guten Nazi" zu tilgen.

Ganz und gar nicht in den Gedenkmarathon gepaßt hat die Aussage der lettischen Präsidentin Vaira Vike-Freiberga, daß das Jahr 1945 für die drei baltischen Staaten keine Befreiung brachte, sondern vielmehr Sklaverei, Besetzung und Unterwerfung bedeutete und den stalinistischen Terror mit sich brachte. Und die europäischen Staats- und Regierungschefs, die am 9. Mai in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammentrafen, hatten erneut nicht den Mut, Rußland an seine dunkle Vergangenheit zu erinnern.

Solcherart wird Geschichte neuerlich zur Hypothek, zur Belastung für die zum Tätervolk stigmatisierten Deutschen und Österreicher, zur Belastung für deren Gegenwart und Zukunft. Die Forderung des von ganz links kommenden Wiener Philosophen Rudolf Burger, daß man historische Großverbrechen auch schlicht vergessen können müsse, gewinnt angesichts der Qualität der jüngsten Gedenkfeiern hohe Aktualität.

 

Andreas Mölzer, Publizist, ist FPÖ-Mitglied und seit 2004 Abgeordneter des EU-Parlaments.


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