© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Weltmeister steckbrieflich gesucht
Nicht nur für Schachliebhaber: Ein neues Buch schildert den spektakulären Lebensweg des Bobby Fischer
Michael Insel

D ie zerzauste, ungepflegte Figur, die sich im März nach neunmonatiger Abschiebehaft durch die Meute der Journalisten und Kameraleute im Tokioter Flughafen kämpfte, hatte wenig mit dem geschniegelten Jüngling gemeinsam, der einst sagte, er wolle nie etwas anderes tun, als Schach zu spielen. Tatsächlich hat er zumindest auf internationaler Ebene herzlich wenig Schach gespielt, seit er 1972 in Reykjavik die Weltmeisterschaft gewann. Schlagzeilen machte er zuletzt statt dessen als geheimnisumwitterter Flüchtling vor der amerikanischen Justiz. Am 13. Juli 2004 wurde er beim Versuch der Ausreise aus Japan mit einem ungültigen Paß festgenommen. Seinen Asylantrag lehnten die japanischen Behörden im August ab.

Fischer zog den Zorn der US-Regierung auf sich, als er 1992 das Handelsembargo gegen Jugoslawien brach und den russischen Großmeister Boris Spasski zur Feier des zwanzigsten Jahrestages ihres "Jahrhundertspiels" im montenegrinischen Badeort Sveti Stefan erneut schlug. Er strich das Preisgeld in Höhe von 3,3 Millionen Dollar ein - und verschwand von der Bildfläche, nachdem die Washingtoner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen ihn verhängte.

Über seinen Aufenthaltsort wurde viel spekuliert, bis er sich im Januar 1999 aus Manila zu Wort meldete. Als Gegenleistung für eine Reihe von Interviews, seine ersten seit dreißig Jahren, stellte DZRS Sports Radio ihm Sendezeit zur Verfügung, um sich als Disc Jockey und Karaoke-Künstler zu betätigen, seine Lieblings-R&B-Platten zu spielen und jeden zu verunglimpfen, den er für seinen Feind hielt: den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Ed Koch, den Gründer der Dunkin'-Donuts-Kette, William Rosenberg - ihn machte er für die Fast-Food-Seuche verantwortlich, die den gesamten Erdball befallen habe -, Garry Kasparov, damals Nummer eins auf der Schach-Weltrangliste, den er als "Gauner" und KGB-Spion beschimpfte, Vater und Sohn Bush und natürlich seine Erz-Nemesis, die "brutale, böse Diktatur" USA.

Fischers haarsträubende Verlautbarungen waren stets als Tiraden eines genialen Mannes abgetan worden, der an akutem Verfolgungswahn (einer Krankheit, die Schachspielern immer wieder nachgesagt oder gar wissenschaftlich nachgewiesen wird) und einer leicht verzerrten Realitätswahrnehmung leide, die von den Medien aufgebläht werde. Die Bemerkungen, die er wenige Stunden nach dem Angriff auf das World Trade Center machte, mochten jedoch nur noch seine glühendsten Anhänger verzeihen: "Das ist eine wunderbare Nachricht. Es ist an der Zeit, die Vereinigten Staaten ein für allemal zu beseitigen!" sagte er im Radio und verabschiedete sich von seinen Hörern mit der Parole: "Tod den Vereinigten Staaten!" Selbst der amerikanische Schachverband, der Fischers abstrusen Äußerungen bislang geflissentlich überhört hatte, erteilte daraufhin seinem einzigen Weltmeister eine Rüge.

Daß dieser brillante Großmeister sein Ansehen beschädigte, indem er sich immer wieder zu solch bizarren Wortmeldungen hinreißen ließ, ist bedauerlich. Seine Bücher "Bobby Fischer lehrt Schach" (1966, mit Donn Mosenfelder), das meistverkaufte, und "Meine 60 denkwürdigen Partien" (1969), das wohl beste Schachbuch aller Zeiten, sichern ihm bis heute enormen Einfluß in der Schachwelt. Während er schon auf der Flucht war, erfand er nicht nur eine elektronische Schachuhr, sondern auch eine Lehrmethode namens "Fischerandom-Schach". Bei diesem Spiel wird die Anordnung der Hauptspielfiguren willkürlich durcheinandergebracht, um Neulingen das Auswendiglernen bewährter Spielzüge zu ersparen und sie zu zwingen, eigene Fähigkeiten zu entwickeln.

Zudem kursierten immer wieder Gerüchte, Fischer spiele anonym auf einer Netzseite namens Internet Chess Club ( www.chessclub.com ). Der britische Großmeister Nigel Short sagte dem Sunday Telegraph 1999, er sei sich zu 99 Prozent sicher, daß er im vergangenen Jahr fast fünfzig Partien Blitzschach gegen Fischer ausgetragen habe.

Er wollte seine Gegner nicht schlagen, sondern erniedrigen

Der Mann, der ein muffiges Hobby zum Volkssport und weltweiten Medienspektakel katapultierte, um schließlich auf der Fahndungsliste des FBI zu landen, wuchs in einem jüdischen Umfeld im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Seine Mutter Regina, brillante Linguistin, Krankenschwester mit Universitätsabschluß und alleinerziehende Mutter im konservativen Amerika der fünfziger Jahre, hatte sich 1945 von dem deutschen Biophysiker Hans-Gerhardt Fischer scheiden lassen. Ob er der leibliche Vater des 1943 geborenen Bobby war, weiß anscheinend nur das FBI.

Der Mutter jedenfalls verübelte er ihren exzentrischen Lebensstil und ihre Sympathien für die politische Linke ebenso wie ihre jüdische Abstammung und flüchtete schon als Sechsjähriger in die schwarzweiße Welt der 64 Quadrate. Mit dreizehn wurde er zum jüngsten Landesmeister der Junioren und für seinen Sieg gegen Donald Byrne, einen der zehn amerikanischen Spitzenspieler, mit dem jährlich verliehenen Brillanz-Preis für besonders findige Spielzüge gekürt. Mit vierzehn wurde er nicht nur US-Meister, sondern auch der jüngste internationale Großmeister. Fischers Stil war offensiv und schonungslos - er ging stets aufs Ganze, wollte seine Gegner nicht nur schlagen, sondern erniedrigen. "Ich mag den Augenblick, in dem ich das Ego eines Mannes breche", sagte er einmal.

1959 brach er seine Schullaufbahn ab - seine akademischen Leistungen waren seinem IQ von 180 sowieso nie gerecht geworden -, machte seine Berufung zum Beruf und entwickelte sich immer mehr zum Eigenbrötler, der vierzehn Stunden am Tag über dem Schachbrett brütete. Nach einem enttäuschenden vierten Platz beim Kandidatdenwettkampf auf den westindischen Inseln zog er sich überraschend aus dem internationalen Wettbewerb zurück.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm das Geld ausging und er aus seiner Wohnung in eine YMCA-Herberge umziehen mußte. Als er sich auch diese Unterkunft nicht mehr leisten konnte, übernachtete er bei Freunden. Erst 1967 kehrte er kurz wieder auf die Weltbühne zurück, qualifizierte sich für ein Turnier in Tunesien und sagte die Teilnahme dann doch ab. Das änderte sich erst, als er 1970/71 in zwanzig Spielen gegen Großmeister die längste ununterbrochene Siegesserie der Schachgeschichte hinlegte.

Während der Jahre im "inneren Exil" hatte Fischer wie besessen russische Schachzeitschriften studiert und war nun bereit, seinen lebenslangen Traum zu erfüllen und den Russen den seit 1945 gehaltenen Weltmeistertitel abzujagen. Seinem Ruf als Primadonna der Schachwelt, die Spiele abbrach, Absagen androhte und sich über alles von der Beleuchtung über unhörbare Hochfrequenzgeräusche bis hin zu der Marke seiner bevorzugten schwarzen Drehstühle beschwerte, machte er alle Ehre, als er im Sommer 1972 gegen Spasski antrat.

Vor seiner mehrmals hinausgezögerten Ankunft in Reykjavik hatte er bereits das Preisgeld auf 250.000 Dollar in die Höhe getrieben und den Vorsitzenden der Schiedsrichterkommission auswechseln lassen. Den Veranstaltern dürften Felsbrocken vom Herzen gefallen sein, als Fischer auf einen Anruf Henry Kissingers hin drei Tage nach der Eröffnungszeremonie in Reykjavik eintraf, und erst recht, als er sechs Minuten nach Spasskis erstem Zug am 11. Juli die Sporthalle betrat.

Brillante Spielzüge und politische Intrigen in Island

Das Drama der folgenden zwei Monate ist nun auch auf deutsch nachzulesen in "Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann". So kurzweilig wie informativ lassen die Journalisten Dave Edmonds und John Eidinow, die sich zuvor in "Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte" (2001) einer ähnlich legendären Konfrontation annahmen, nicht nur für Schachliebhaber ein Stück Zeitgeschichte wiederaufleben. Spannend wie ein Krimi, hervorragend recherchiert und bebildert schildern sie die brillanten Spielzüge zweier Großmeister in Bestform ebenso wie die politischen Intrigen im Hintergrund.

Ein weltweites Fernsehpublikum fieberte mit, bis Spasski am 1. September aufgab und Fischer als erster Amerikaner zum Schachweltmeister gekürt wurde. Drei Jahre später wurde ihm sein Titel wieder aberkannt, als er sich weigerte, ihn gegen Anatolij Karpov zu verteidigen. Wiederum zog er sich völlig aus dem internationalen Wettbewerb zurück, lebte als Mitglied der jüdisch-christlichen Sekte Worldwide Church of God in Pasadena, dann in San Francisco und Deutschland und trat 1992 mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg auf Einladung eines serbischen Bankiers spektakulär wieder ins Rampenlicht.

Inzwischen ist Fischer an den Ort seines größten Triumphes zurückgekehrt. Am 24. März flog er von Tokio nach Dänemark und stieg dort in einen Privatjet um, den ein isländischer Fernsehsender für ihn gechartert hatte, um mit seiner Verlobten Miyoko Watai, der Präsidentin des japanischen Schachverbands, ein neues Leben als isländischer Staatsbürger zu beginnen.

"Niemand wird von Schach verrückt; durch Schach bleiben Verrückte normal", zitieren Edmonds und Eidinow einen, der es wissen muß, den zweimaligen britischen Meister Bill Hartston.

David Edmonds/John Eidinow: Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann. Die ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten. DVA, München 2005, geb., 432 Seiten, 22,90 Euro.

Bobby Fischer in Tokio: "Durch Schach bleiben Verrückte normal"


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen