© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Aus den Magazinen des Vergessenen
Vom Idealismus zum Realismus: Ausstellungen in Berlin zu Peter Cornelius und Adolph Menzel
Wolfgang Saur

Bevor die Berliner Staatlichen Museen zu ihren Hauptprojekten 2005 ausholen - Ausstellungen zum Expressionismus und zu Goya - halten sie einen Moment lang versonnen inne. Ein seltener Rückblick zeigt nun Vergessenes: was im 20. Jahrhundert einer triumphierenden Moderne zum Opfer fiel, im Magazin verschwand.

Eine gewaltige Schau konfrontiert uns da mit Monumental-Ikonen einer konservativen Ideenkunst: Peter Cornelius und "Die Götter Griechenlands". Zwei intime Retrospektiven sodann sind Adolph Menzel zum 100. Todestag gewidmet; sie breiten vor allem höfisches Leben und den Berliner Kosmos als zentrale Themen seiner malerischen Ausbeute und seines unersättlichen Erfahrungshungers aus.

Nicht denkbar wären beide Künstler ohne "Gegenstandsbezug" und "stoffliches Interesse", seinerzeit gleich konstitutiv für idealistische wie realistische Stilformen. Doch wurden sie obsolet mit dem ästhetischen Paradigmenwechsel Ende des 19. Jahrhunderts. Neue Prinzipien malerischer Logik forderten nun "Eindruck", dann "Ausdruck", führten zu "Abstraktion" und Informel, schließlich zur Postmoderne. Der impressionistische Kulturkampf im Berlin der 1890er Jahre gab dazu den Auftakt.

Kultisch verehrt wurde dort Peter Cornelius (1783-1867). Er galt als "deutscher Raffael" in seinem Jahrhundert. Die Nationalgalerie (seit 1876), Kunstschrein des Reiches, hatte für ihn - in eindrucksvoller Bestätigung seiner kanonischen Geltung - die Hauptsäle der Bel Étage reserviert. Zu sehen waren dort die Kartons zur Münchner Glyptothek und für den Berliner Campo Santo, als Monumentalstudien autonome Werke und stilistisch ein heroischer Abschluß der klassisch-romantischen Periode. Cornelius' mythologisch-allegorischer Figuralstil in seiner idealen Monochromie und umrißbetonten Kreidetechnik hatte mit dramatischer Erfindungskraft, reicher Gestaltphantasie und überlegter Komposition noch einmal aus dem großen Erbe der Renaissance geschöpft.

Cornelius ging aus vom akademischen Klassizismus und schloß sich 1811 den "Lukas-Brüdern" in Rom an. Die suchten eine Erneuerung der Malerei im Zeichen christlichen Glaubens und nationaler Erziehung und entdeckten so das Fresko als Monumentalform wieder. Erste Erfüllung fand ihr Programm 1816/17 mit dem gemeinsam geschaffenen Bildzyklus zur Josephslegende im Palazzo Rucellai. 1819 berief dann Ludwig I. Cornelius nach München, betraute ihn mit großen Ausmalungsprojekten in Glyptothek, Pinakothek und Ludwigskirche.

So entstanden seit 1820 zahlreiche Großkartons als Architekturschmuck. Die romantisch-klassische Linienkunst wurzelte ganz in "Einfall" und "Zeichnung", weshalb der Meister auch Übertrag und Kolorit die Schüler besorgen ließ. So erfüllten die Götter- und Heroensäle der Glyptothek in ihrer odysseischen Motivik, dann das christliche Weltgericht der Ludwigskirche pathetisch Cornelius' Visionen von alter und neuer "Mythologie". Wurden seine homerischen Fresken 1945 auch zerstört, überlebten sie als eingerollte Kartons in Berlin.

Dort hatte Cornelius seit 1843 die Entwürfe für den Campo Santo erarbeitet, die geplante Hohenzollern-Grablege, deren Bau das Revolutionsjahr '48 indes vereitelte. Cornelius, protegiert von den "Romantikern auf dem Thron", starb 1867. Seine Werke verblieben in der Ehrfurcht der Nationalgalerie, bis sie der Impressionismus verdrängte, dessen Stilprinzipien: Farbe, Licht, Sensualität ein neues ästhetisches Paradigma heraufbeschworen. Vor siebzig Jahren sah das Publikum die berühmten Kartons zum letzten Mal. Im Krieg gerettet, danach restauriert, machen sie jetzt staunen, konfrontieren uns mit einer ganz fremden Idee des Schönen.

Der Idealismus nennt eine Komponente bürgerlicher Kunst, der Realismus die andere. Mit diesem verbindet sich Menzels Genie, dem Nationalgalerie und Kupferstichkabinett gerade die Retrospektiven "Menzel und der Hof" und "Menzel und Berlin" widmen. Als intime Grafikreihe dessen legendären Ölbildern angefügt, ermöglicht jene dem Flaneur die stilgeschichtliche Promenade aus frommer Ideenkunst der Bel Étage hin zum Erfahrungsprinzip Menzelscher Weltbeobachtung.

Wir sehen Entwürfe, Studien, Varianten zum berühmten Krönungsbild (1865) oder dem sagenhaften "Ballsouper" (1878), das eben durch Japan tourt: eigenwillig gelöstes Auftragsbild feudaler Repräsentation das eine, quirlig chaotische Detailfülle des modernen Sozialraums das andere.

Den Niederschlag Berlins im Œuvre Menzels zu thematisierten, liegt nah bei einem Künstler, der 75 Jahre hier verbracht und die urbane "Entwicklung vom mauerumgürteten Biedermeier bis zur landschaftsverschlingenden Weltstadt hautnah" miterlebt hat. "Berlin bedeutet für Menzel nicht nur Wohnort und Heimat, sondern ist der Schlüssel zu seinem Wesen, zu seiner Kunst, Berlin und Menzel sind untrennbar eins" (Wirth). So tritt er als zweites Berliner Genie neben Fontane in dieser Zeit.

Das Kupferstichkabinett am Kulturforum zeigt seine "Hommage" just an dem Ort, wo Menzel selbst 30 Jahre gewohnt hat (Sigismundstraße 3). Aus dem Bestand von 7.000 Handzeichnungen und 1.500 Druckgrafik hat man gut 200 ausgewählt und mit Ölbildern ergänzt.

Acht Sektionen fokussieren Themenfelder wie Familie, Freundeskreis, Frideriziana, Zeitgeschichte oder Stadtlandschaften und Arbeitswelt. Menzel als Chronist ist ein "totaler Zeichner", der alles und jedes registriert. Und doch blieb dabei die menschliche Gestalt seine große Obsession: aus jeder Perspektive und Lage studierte er Freunde und Fremde. So stellt die menschliche Figur in tausend Facetten sich dem Betrachter dar als eigentlicher Dreh- und Angelpunkt von Menzels Kunst.

Und genau das verbindet den skeptischen Realisten mit dem Monumentalkünstler Cornelius. Erst das neue Jahrhundert hat diesen Humanismus aus der Kunst verabschiedet.

 

Die Cornelius-Ausstellung "Die Götter Griechenlands" ist bis zum 5. Juni in der Alten Nationalgalerie, Museumsinsel, Bodestr. 1-3, zu sehen.

Ebenfalls dort wird bis zum 6. Juni die Ausstellung "Menzel und der Hof" gezeigt. Öffnungszeiten: Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Tel: 030 / 20 90 58 01

Die Ausstellung "Menzel und Berlin - Eine Hommage" ist bis zum 5. Juni im Kupferstichkabinett, Kulturforum, Matthäikirchplatz 8, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Tel: 030 / 266 20 02

 

Adolph Menzel, "Ministerpräsident Otto von Bismarck" (1865)

Peter Cornelius, "Der Wagen der Eos / Der Morgen" (1820/21)


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