© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Auf zum letzten Gefecht
Neuwahlen: Kanzler Schröder ergreift die Flucht nach vorn und wartet auf ein gutes Blatt / Erwartungen an Politikwechsel unter Merkel sind trügerisch
Paul Rosen

Das rot-grüne Projekt ist am Ende. Deutschland steht möglicherweise vor einer Zäsur wie 1969, 1982 oder 1998. An dem Ergebnis der nordrhein-westfälischen Landtagswahl gibt es nichts herumzudeuten. Wenn Kanzler Gerhard Schröder sagt, er sehe die Grundlage für die Fortsetzung seiner Arbeit in Frage gestellt, dann ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. Der Versuch von SPD-Chef Franz Müntefering, mit seiner Kapitalismus-Kritik das Ruder noch einmal herumzureißen, blieb ohne Erfolg. Neuwahlen im Herbst scheinen jetzt die einzige Möglichkeit zu sein, das Land aus seinem politischen und wirtschaftlichen Koma erwachen zu lassen.

Die Niederlage für SPD und Grüne im größten Bundesland war total. Die SPD sackte auf den tiefsten Stand seit 51 Jahren. Die Milieus, von denen Müntefering, Schröder und Fischer zehren, schrumpfen zusammen. Und das nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Schon die Landtagswahl in Schleswig-Holstein hatte gezeigt, daß Rot-Grün nicht mehr mehrheitsfähig ist. Im Bundesrat gibt es keine rot-grünen Vertreter mehr. Die SPD ist in der Länderkammer jetzt nur noch über Bündnisse mit der PDS oder Große Koalitionen mit der CDU präsent.

Müntefering bereitet jetzt die Flucht in die Opposition vor. Als Plan B kommt noch die Option einer Großen Koalition in Betracht, in der seine Partei aber bestenfalls noch Juniorpartner wäre. Die Lesart, daß Müntefering und Schröder mit der Ausrufung von Neuwahlen wieder das Gesetz des Handelns an sich reißen wollen, erinnert an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Den Überraschungseffekt hatten sie allerdings auf ihrer Seite. Mit Neuwahlen hatte niemand gerechnet - auch die Führung der Grünen nicht. Statt dessen blühten bereits Spekulationen über eine Kabinettsumbildung.Schon seit Monaten war das Regieren in Berlin nur noch als Qual zu bezeichnen. Mit ihrer hauchdünnen Mehrheit von drei Stimmen hatte die rot-grüne Koalition permanent Mühe, die Oberhand im Bundestag zu behalten. Eine wenn auch unwichtige Abstimmung ging bereits verloren. Die Wahl des Wehrbeauftragten mußte um Wochen verschoben werden, die Abstimmung über die beim Job-Gipfel vereinbarte Senkung der Unternehmenssteuern auch, weil die Mehrheit nicht sicher schien. Und die Wahl des CDU-Kandidaten Horst Köhler zum Bundespräsidenten war bereits das Flammenzeichen an der Wand, daß das Ende von Rot-Grün näher rücken würde.

Die Stimmung im Berliner Regierungslager verschlechterte sich immer mehr. Abgeordnete von SPD und Grünen bekämpften sich hinter den Kulissen mehr als daß sie zusammenarbeiteten. Nur noch in der Öffentlichkeit wahrten sie den Schein der Koalitionsharmonie. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten im rot-grünen Projekt ist verbraucht. Die so schönen Ideen von multikultureller und alternativer Gesellschaft wurden zwar mit Gesetzen über doppelte Staatsangehörigkeit und der Einführung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften befördert, aber zugleich ging es wirtschaftlich steil bergab.

Schröder und Fischer waren die letzte Klammer der Koalition. Aber schon vor einem Jahr wurde Schröder schwächer, als er den SPD-Vorsitz an Müntefering abtreten mußte. Seine Regierungsarbeit wurde von Pannen unfähiger Minister begleitet. Beispiele sind das Maut-Desaster des überforderten Verkehrsministers Manfred Stolpe und die desaströse Haushaltswirtschaft von Finanzminister Hans Eichel, der nur noch mit Luftbuchungen seinen Haushalt ausgleicht. Fischer hat mit der Visa-Affäre seinen Ruf als Übervater der Grünen eingebüßt. Neuwahlen können jetzt für die SPD ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende bedeuten.

Es ist gut möglich, daß im Herbst eine Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt regieren wird. Daß die Wahlen um ein Jahr vorgezogen werden, scheint relativ sicher zu sein. Auch der Bundespräsident wird sich schließlich nicht widersetzen, wenn alle Fraktionen Neuwahlen wollen.

Für die CDU-Chefin könnte die Ausgangsposition nicht besser sein. CSU-Chef Edmund Stoiber hat schon vor Monaten durchblicken lassen, daß er keine weitere Kandidatur anstrebt. Für ihren einzigen ernstzunehmenden Rivalen, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, kommt der Herbst-Termin zu früh. Er hätte nur dann eine Chance gehabt, wenn sich die CDU in der Opposition weiter verschlissen hätte. So werden CDU und CSU in den nächsten Tagen Merkel auf den Schild heben. Und in der FDP steht ohnehin niemand außer Parteichef Guido Westerwelle als Spitzenkandidat zur Verfügung.

Eine bürgerliche Regierung würde einen in Trümmern liegenden Staat übernehmen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fünf Millionen, der Staatshaushalt ist ruiniert. Die Zinsausgaben sind so hoch, daß notwendige Investitionen nicht mehr vorgenommen werden können. Alle Sozialkassen sind am Rande der Pleite. Das Wirtschaftswachstum will nicht anspringen, und jeden Tag gehen 1.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Die Stimmung in Deutschland ist düster, Angst geht um. Die Bürger, die noch dazu in der Lage sind, sparen ihr Geld, statt es auszugeben.

Von einer "Wende" wird man nach einem Regierungswechsel kaum reden können. Union und FDP werden nicht die Kraft haben, die Weichen in der Gesellschaftspolitik anders zu stellen. Es dürfte weder eine Abschaffung der Homo-Ehe noch ein anderes Staatsbürgerschaftsrecht geben. In der Familienpolitik sind auch nur leichte Korrekturen zu erwarten. Merkel steht nicht für einen klaren Kurs, sondern eher für das Prinzip "Weiter so". Das Fehlen eines konservativen Flügels in der Unionsfraktion wird dazu führen, daß die "Werte" nach wie vor in Sonntagsreden beschworen, aber nicht zur Grundlage der praktischen Politik werden.Einige Änderungen sind in der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu erwarten. Eine bürgerliche Regierung dürfte kurzfristig eine Steuerreform verabschieden, wird Arbeitsmarktreformen durchführen und Maßnahmen zur Sanierung der Sozialkassen beschließen. Dabei hilft die Mehrheit im Bundesrat, die vielleicht noch zwei Jahre halten dürfte. Denn nach aller Erfahrung gewinnt die jeweilige Opposition in den Ländern. Nach 1998 war diese Grundregel des deutschen Wahlverhaltens nur durch die CDU-Spendenaffäre vorübergehend außer Kraft gesetzt worden.

Und Schröder? Der Kanzler hofft jetzt auf Ereignisse wie Flut oder internationale Krisen. Er war immer ein Pokerspieler. Und wie jeder Spieler wird er achselzuckend nach Hause gehen, wenn er kein gutes Blatt bekommt.


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