© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Das Vakuum füllen
Politische Korrektheit: Schmutzkampagnen dürfen nicht das letzte Wort bleiben
Doris Neujahr

Der Hamburger Stern warnt in einer Totschlag-Reportage vor dem rechtsextremistischen "Marsch in die Mitte". Die Überschrift assoziiert den "Extremismus der Mitte", eine sachlich unsinnige, politisch jedoch hochwirksame These deutscher "Extremismusforscher". Das Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin will dem Soziologen Bernd Rabehl die Lehrerlaubnis entziehen, weil dieser eine Gegenposition zur "Faschismusneurose" des OSI bezieht und diese ausgerechnet in der NPD-Parteizeitung erläutert, mithin also an politisch unkorrekter Stelle. Und eine entmannte Berliner CDU macht, getrieben von der Lokalpresse, Jagd auf "Rechtsabweichler" in den eigenen Reihen. In welchen Zeiten leben wir? - In sehr interessanten! Der fünfte Akt der rot-grünen Götterdämmerung steht vor dem Abschluß. Damit ist ein ganzes gesellschaftspolitisches "Projekt" am Ende. Sein ursprüngliches geistiges Hinterland waren die bunten Suhrkamp-Bücher, in denen die auflösende Kraft der Moderne gefeiert wurden. Sie unterminierte gewachsene Strukturen und schuf eine Tabula rasa: Was für ein Betätigungsfeld für aufgeklärte Sozialingenieure, die in Deutschland eine ganz neue Gesellschaft aufbauen wollten! Zugegeben: In den letzten Jahren hatte sich in manche Texte bereits Skepsis gemischt, in andere sogar die Panik des Zauberlehrlings.

Es wäre vermessen, Vordenkern wie Ulrich Beck, dem Autor der "Risikogesellschaft", ihre analytische und antizipatorische Kraft abzusprechen. In den letzten zehn, vielleicht schon fünfzehn Jahren - nämlich seit der Wiedervereinigung - aber haben Intellektuelle wie Beck schon gar keinen wirklichen Einfluß mehr gehabt. Ihre Werke wurden als Steinbruch genutzt, wo Ideologen nach Stichwörtern suchten, um einen primitiven Postnationalismus, den Multikulturalismus und die Entmächtigung des Nationalstaates zu legitimieren und voranzutreiben. Statt Debatten gab es Kampagnen, und immer mehr wurde der Antifaschismus beschworen, um eine verunsicherte Gesellschaft zu formieren und zu disziplinieren.Wer sich in die vom Stern verantwortete Internet-Plattform "mut-gegen-rechte-gewalt" einloggt, findet sich in einem paranoiden Paralleluniversum wieder, in dem sich zweifelhafte Wissenschaftler wie Christoph Butterwegge, Wolfgang Gessenharter, Wilhelm Heitmeyer, Hans-Gerd Jaschke, aber auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und andere übliche Verdächtige tummeln, die überall "Nazis" am Werk sehen. 

Aus ihrer ideologischen Fluchtburg heraus versuchen sie die Gesellschaft zu beeinflussen, zu erobern, nach ihren spinnerten Vorstellungen umzuformen. Sie sind keineswegs einflußlos, sondern nehmen in Wissenschaft, Politik und Medien einflußreiche Positionen ein.Was auffällt, sind die Querverweise auf den Verfassungsschutz. Man leiht sich von ihm die Autorität des Staates, andererseits arbeitet man ihm "wissenschaftlich" zu und liefert ihm damit die Argumente für seine Aufblähung. Für Rabehl sind das alles Indizien, daß "sich 'Faschismus' nicht als historisches Ereignis wiederholt, sondern Ursachen in der Radikalisierung der inneren Sicherheit hat. Der ehemalige RAF-Anwalt Otto Schily demonstriert augenblicklich den fatalen Ausbau des Sicherheitsstaates im Kampf gegen den 'Terrorismus' und 'Extremismus'."Der Schriftsteller Günter Grass, selbst lange Zeit ein Exponent der allgemeinen Hysterisierung, hat darin nun einen verhängnisvollen Fehler erkannt. Kürzlich schrieb er in der Hamburger Zeit: "Spät, vielleicht zu spät erkennen wir, daß nicht Rechtsradikale den Staat bedrohen oder gar - wie uns die Verbotshuber glauben machen wollen - als Gefahr Nummer eins anzusehen sind, vielmehr ist es die Ohnmacht der Politik, derzufolge sich die Bürger schutzlos dem Diktat der Ökonomie ausgesetzt sehen."Grass kann sich die Korrektur seiner politischen Narreteien ohne Gesichtsverlust leisten, denn sein Ruhm, seine bleibende Bedeutung gründet sich auf die Literatur. Ganz anders sieht das aus bei Politikern, die um ihre berufliche und soziale Existenz kämpfen und bei Extremismus-Experten und ihren Lautsprechern, die außerhalb der paranoiden Parallelwelt, die sich weitgehend mit dem kollabierenden "rot-grünen Projekt" überschneidet, bedeutungslos sind.Das Grass-Zitat belegt, daß die Zwänge der Globalisierung auch einen reinigenden Effekt haben können. In diesem Fall wirken sie wie eine gigantische, geistig-moralische Klospülung, und es ist menschlich verständlich, daß diejenigen, die es nötig haben, sich dagegen wehren, daß ihre Hervorbringungen - und symbolisch auch sie selbst - den natürlichen Weg allen Unrats nehmen.So wird eben nochmals "die Rechte als Feind" bestimmt, "bei dessen Bekämpfung auf keine gute Sitten Rücksicht genommen werden muß", wie das gleichfalls angegriffene Institut für Staatspolitik feststellt. 

Die "Hemmungslosigkeit der Diffamierung" ist dabei ein Zeichen der Schwäche und der Panik, die die rot-grüne Götterdämmerung auslöst. Es gibt deshalb wichtige Gründe, den Blick über den Tellerrand der aktuellen Schmutzkampagne zu erheben. Der wichtigste ist das gesellschaftspolitische Vakuum, das danach ruft, aufgefüllt zu werden. Hier beginnt die wirkliche Bewährung.


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