© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Die Woche
Der große Bluff
Fritz Schenk

Da ist es diesem Tausendsassa Gerhard Schröder doch gelungen, aus einer verheerenden Niederlage noch einen halben Sieg zu machen. Der Coup vom Sonntagabend, vom nordrhein-westfälischen Wahldesaster seiner Partei abzulenken und mit dem Trick vorgezogener Bundestagswahlen zu kontern, darf als fast genial bezeichnet werden.

Dies um so mehr, als er damit vor allem die in Nordrhein-Westfalen siegreiche Union taktisch überrumpelt und in ihrer Gesamtheit völlig aus dem Konzept gebracht hat. Wie von ihm wohl erhofft - und in Kenntnis der deutschen Medienlandschaft richtig kalkuliert -, stand und steht nun mit einem Mal nicht die rot-grüne und Schröders eigene Pleite im Vordergrund der Debatten, sondern die alberne K-Frage der Union. Und so, wie sich die Unionsvertreter in dieses Wortgeklingel hineinziehen ließen, werden sich die Scheingefechte wohl auch in der nächsten Zeit fortsetzen.

Es ist schon bezeichnend für den heutigen Fernsehjournalismus, daß nicht einer der wichtigtuerischen Mikrofonschwenker die Kernfrage stellte, was denn Neuwahlen bringen sollen, da sich durch sie die Bundesratsmehrheiten - von denen der Kanzler ja behauptet, daß sie ihn an der Verwirklichung seiner "Agenda 2010" behindern - ja überhaupt nicht ändern. Selbst wenn es ihm gelänge, in diesen vorgezogenen Wahlen eine etwas breitere Mehrheit im Bundestag zu erhalten, brächte dies für das Zusammenspiel zwischen Bundestag und Bundesrat kein Fünkchen Besserung. Insofern gingen auch die Vergleiche mit dem fingierten Mißtrauensvotum des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für die vorgezogenen Bundestagswahlen vom Frühjahr 1983 völlig an der heutigen Sachlage vorbei.

Schlimmer jedoch ist, daß sich die Union - und da muß an erster Stelle CSU-Chef Edmund Stoiber genannt werden - sogleich in das Orakeln über Modalitäten und Termine ziehen ließ, ohne die einfachste aller Bedingungen für vorgezogene Neuwahlen überhaupt anzusprechen: nämlich den sofortigen Rücktritt des Bundeskanzlers und seines Stellvertreters mit der Versicherung, für eine erneute Kanzlerkandidatur nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Das war nämlich das selbstverständliche ehrenhafte Verhalten von Helmut Schmidt 1982, nachdem er das Vertrauen seiner Koalitionsmehrheit verloren hatte.

Daß die heutigen Fernsehmacher nicht auf einen solchen Gedanken kommen, damit scheint sich unser nur noch mit seichtem Geschwätz überfüttertes Publikum schon gewöhnt zu haben. Daß aber die Oppositionsvertreter aus Union und FDP, die am Wahlabend zu Wort kamen, sich von dem Schröder-Coup hatten überrumpeln lassen - und daher eher sie, statt die rot-grünen Verlierer, blasiert und geschockt daherschwafelten -, hat gerade bei jenen, die längst einen tiefgreifenden Wandel in der deutschen Politik herbeisehnen, mehr Bedenken als Hoffnungen für die Zukunft Deutschlands aufkommen lassen.

Eines hat sich allerdings bestätigt: Daß der Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen von bundespolitischer Bedeutung ist, worin sich die Propheten aller politischen Färbungen von Anfang an einig waren. Nun geht es unaufhaltsam auf die nächste Bundestageswahl zu und das heißt, daß sich zumindest in diesem Jahr staatspolitisch nichts mehr bewegen wird. Insofern hat der Kanzler mit seinem Überraschungsstatement die doch Wahrheit gesagt: Er ist mit seinem Latein am Ende.


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