© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Die Regierung setzt Prioritäten
Sparen am falschen Ende: Die finanzielle Förderung der Zeitschrift "Kafka" soll Ende dieses Jahres eingestellt werden
Doris Neujahr

Vor vier Jahren war Kafka, die Zeitschrift für Mitteleuropa, mit großen Ansprüchen gestartet. "Europa neu entwerfen", stand über dem Editorial der ersten Ausgabe. Kafka wollte die Mitteleuropäer dazu ermuntern, aus der "Denkgefangenschaft der Vergangenheit" herauszutreten. Selber hat sie sich stets im Rahmen offizieller Geschichtspolitik bewegt. In der Nummer 13 vom März 2004 hieß es, die Rede über "die Vertreibung von mehr als 14 Millionen" Deutschen sei nur zulässig, wenn man sie "erkennbar mit dem von Nazideutschland ausgegangenen Terror verknüpft", andernfalls würde "jeder Unterschied von Tätern und Opfern nivelliert und Verantwortlichkeit negiert". Bemerkenswert war diese unstimmige Festlegung auch deswegen, weil Kafka aus genau den staatlichen Mitteln finanziert wird, die den "angestaubten" und "ewiggestrigen" Kulturinstitutionen der Vertriebenenverbände zuvor entzogen worden waren. Kafka sollte modern, interkulturell, auf Versöhnung und Verständigung ausgerichtet sein. Nun heißt es aus dem Goethe-Institut, daß die finanzielle Förderung der Zeitschrift, die auch auf tschechisch, polnisch, ungarisch erscheint, zum Jahresende eingestellt wird.

Das wäre bei allem Ärger über Verengungen, Beliebigkeiten und Ausblendungen (etwa der deutschen Ostgebiete als Teil des deutschen Kultur- und Geschichtsraums) schade, denn hier las man Autoren aus Mittelosteuropa, die man sonst kaum kennengelernt hätte. Die literarisch-reflexiven Texte überzeugten stets mehr als die Essays über historisch-politische Probleme, und die ausländischen Autoren schrieben interessanter als die betroffen-verklemmten Beiträger aus Deutschland.

Nachdem die Regierung der Vertriebenenkultur den Garaus gemacht hat, will sie nun Kafka das Lebenslicht ausblasen. War es jemals mehr als ein Alibi? Daß seine Resonanz beschränkt sein würde, wußte man schon vorher - eine mitteleuropäische Öffentlichkeit gibt es nun mal nicht. Debatten konnten sich hier auch deshalb schlecht entfalten, weil das Heft zuerst viertel-, dann nur noch halbjährig erschien, und zwar jeweils themengebunden. Das Goethe-Institut begründet das Ende von Kafka mit dem Ausbau seiner Internet-Aktivitäten. Daß die Lektüre einer Zeitschrift ästhetisch, aber auch physiologisch-kognitiv eine ganz andere Qualität besitzt als das Starren auf den Computerschirm, ist den Goethe-Erben wohl entgangen. Die Entscheidung paßt in eine Zeit, in der die Schröders und Buhlmans den Bildungsbegriff definieren.

Der ungarische Literaturwissenschaftler László F. Földéni schrieb vor einigen Jahren in Kafka über die Internet-Euphorie: "Nicht politischer Druck ist es, der mit heute Atemnot verursacht, sondern unbeschränkte Freiheit. Die mit echter Freiheit vielleicht gar nichts zu tun hat. Und auch nicht mit echter Bildung. Mir scheint, die Größe dieser inneren Leere steht im direkten Verhältnis zur Menge der über mich hereinbrechenden Informationen. Was heute 'Bildung' genannt wird, ist eine unaufgearbeitete Informationsmasse. Die nicht rezipierbar ist."

Das Heft erscheint in einer Auflage von 24.000 Exemplaren. Jede Ausgabe kostet 50.000 Euro. Das ist bestimmt nicht mehr als das Jahressalär der künftigen Antidiskriminierungsbeauftragten. Aber in Zeiten knapper Kassen muß eine rot-grüne Regierung halt Prioritäten setzen.

Kontakt: Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa, Albrechtstr. 19, 10117 Berlin, 15 Euro.


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