© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

In der Maske des Außenseiters
Deutscher Selbsthaß: Am 31. Mai wäre der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder sechzig Jahre alt geworden
Werner Olles

Fassbinders Debüt fand nicht zufällig auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung statt. Im Februar 1968 brachte er - erstmals nach über vierzig Jahren - Marieluise Fleißers "Pioniere in Ingolstadt" wieder auf die Bühne. Ein paar Monate später wartete er bereits mit einem eigenen Stück auf: "Katzelmacher". Spielstätte war eine Schwabinger Kneipe, der Name der Avantgarde-Bühne: "antiteater". Eine Künstlerkommune mit Rainer Werner Fassbinder als tonangebender Figur, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens gleichwohl Furore machte.

Die Produktionen des antiteaters - "Werwolf", "Anarchie in Bayern" und "Blut am Hals der Katze" - waren mit ihrer Mixtur aus Leerformeln, Schnulzen-Sentimentalität, Wehleidigkeit und Manieriertheit der Stachel im Fleisch eines völlig verunsicherten Kulturbetriebs, der zwar das "deutsche Gemüt" verachtete, selbst aber von pathologischer Egomanie, Eitelkeit und Ressentiments bestimmt war. Fassbinder avancierte zur Kultfigur, zum Heros des Establishments, bevor er auch nur einen einzigen Film gedreht hatte.

Rainer Werner Fassbinder wurde am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen geboren. Noch im gleichen Jahr kehrten seine Eltern, die in Bad Wörishofen nur evakuiert waren, wieder nach München zurück, wo der Vater als Arzt praktizierte. Nach zahlreichen Schulwechseln und gescheiterten Bemühungen, in verschiedenen Berufen Fuß zu fassen, ging Fassbinder ans Kellertheater.

Von der Filmhochschule abgelehnt, drehte der Autodidakt 1969 und 1970 zehn Filme, die selbst geschworene Fassbinder-Fans als "hermetische Selbstbespiegelungen" (Michael Töteberg) bezeichnen. Seine Protagonisten werden von Sprachlosigkeit und Langeweile beherrscht, Gruppenzwang und ritualisierte Umgangsformen kombiniert mit Haß auf Außenseiter führen zu gewalttätigen Exzessen wie in "Katzelmacher"; provozierend lange Einstellungen, klinische Helle und demonstrativ kahle Hintergründe zeigen dagegen in seinem Erstling "Liebe ist kälter als der Tod", ein artifizielles Experimentierfeld, in dem die Figuren trostlos isoliert sind.

1971 folgte ein radikaler Paradigmenwechsel. Fassbinder orientierte sich nun an den großen Hollywood-Melodramen Douglas Sirks und inszenierte mit "Händler der vier Jahreszeiten" eine brillante Tragikomödie um einen Obsthändler, der wegen einer Prostituierten seinen Dienst als Polizist quittieren mußte und sie später heiratete. Noch deutlicher wurde Sirks Einfluß in "Angst essen Seele auf", einem melancholisch erzählten Melodram, während "Die bitteren Tränen der Petra von Kant", von Fassbinder nach einem eigenen Bühnestück in bewußt künstlich-kitschigen Stil verfilmt, bei der Kritik durchfiel. Allein Botho Strauß lobte damals die "sehr künstlich Nachempfindung einer echten Kitschgeschichte".

Fassbinders Scheitern am Schauspiel Bochum und am Frankfurter Theater am Turm, wo er vorübergehend als Intendant wirkte, änderte nichts daran, daß Deutschlands Nachkriegsgeneration in ihm ihren Mythos gefunden hatte. Zwar hinterließ er den Frankfurtern noch ein Erbe, das lange in der Stadt rumoren sollte, nämlich das Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" nach Gerhard Zwerenz' Roman "Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond", doch es kam aufgrund massiver Proteste der Jüdischen Gemeinde wegen angeblich antisemitischer Tendenzen nie zur Aufführung.

Botho Strauß stellte sich erneut schützend vor ihn

Immerhin löste es eine heftige Debatte aus über die Rolle von Bodenspekulanten und Immobilienhaien, die in den sechziger und siebziger Jahren in der Finanzmetropole Frankfurt mit Unterstützung der lokalen SPD-Administration und geschützt von einem verlogenen Philosemitismus ganze Stadtviertel plattmachten und sich eine goldene Nase verdienten. Dieses eine Mal konnte Fassbinder, den die Frankfurter Rundschau bis dahin noch als "unseren Balzac" gelobt hatte, nicht auf seinen Bonus als Medienliebling in der Maske des Außenseiters bauen. Der Suhrkamp Verlag zog das Buch "Stücke 2" zurück und ließ es einstampfen, nachdem selbst Joachim Fest in der FAZ den Antisemitismus-Vorwurf erhob. Schützend stellte sich einmal mehr nur Botho Strauß vor ihn: Fassbinder umkreise mit seinen Stücken "eine Wundzone sozialer Desintegration".

Dennoch blieb "Der Müll, die Stadt und der Tod" sein letztes Theaterstück. Zehn Jahre später scheiterte abermals der Versuch, es postum in Frankfurt auf die Bühne zu bringen, wiederum verhinderten Demonstrationen und schließlich sogar eine Bühnenbesetzung mit Ignatz Bubis und Daniel Cohn-Bendit an der Spitze die Premiere.

Fassbinders Traum von einem deutschen Hollywood-Film wurde noch am ehesten in der überraschend erfolgreichen fünfteiligen Familienserie "Acht Stunden sind kein Tag" realisiert. Die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre entstandenen Filme - "Lola", "Die Ehe der Maria Braun" und "Die Sehnsucht der Veronika Voss" - erzählten Zeitgeschichte anhand von Frauenschicksalen, während "Deutschland im Herbst" und "Die dritte Generation" in der Simplizität ihrer Vulgär-Psychologie nichts als larmoyante Anspielungen auf die weinerliche Tristesse und Selbstgerechtigkeit der bundesdeutschen Kulturschickeria in den Jahren des blutigen RAF-Terrorismus darstellten.

Medienheld einer ranzig gewordenen Aufklärung

Die Zwielichtzonen der Metropole Frankfurt tauchten dann noch einmal in dem Transvestitendrama "In einem Jahr mit 13 Monden" auf, einer seltsamen Mischung aus poetischer Sensibilität, wüster Polemik und Kolportage. Mit Alfred Döblins sprachgewaltigem Roman "Berlin Alexanderplatz" verfilmte er 1980 seinen liebsten Stoff für das Fernsehen.

Gänzlich zur unausgegorenen Schwulenschnulze geriet hingegen "Querelle - Ein Pakt mit dem Teufel". Fassbinders Verfilmung des Romans von Jean Genet feierte hymnisch die Homosexualität seiner Helden und verklärte romantisch ihr Außenseitertum.

"Querelle" sollte sein letztes Werk sein. Am 10. Juli 1982 starb Fassbinder im Alter von 37 Jahren in München. Als man ihn fand, lag er leblos auf dem Boden seiner Schwabinger Wohnung: Sinnbild einer tragischen Selbstzerstörung durch Drogen, die ihn zwar bis zur äußersten Selbstbespiegelung berauschten, aber auch die grelle Sinnleere und das schwüle Betroffenheitsklima seiner letzten Filme und Auftritte erklärten. Der "Schwarzmagier des Neuen Deutschen Films" (Hans Jürgen Syberberg), dessen Kombination von Fünfziger-Jahre-Nostalgie und Fließbandanonymität ihn in der Maske des Außenseiters zum Medienhelden einer ranzig gewordenen Aufklärung avancieren ließ, hatte in der Heroisierung des Rausches seinen eigenen Untergang provoziert.

Die Todeshymnen seiner zahllosen Bewunderer ließen nicht mehr lange auf sich warten. Rainer Werner Fassbinder, der konformistische Narziß par excellence, bescherte mit seinem frühen Tod dem westlichen Deutschland und der Generation nach Hitler endlich das Symbol des Selbsthasses, nach dem man so lange erfolglos gesucht hatte.

Foto: Rainer Werner Fassbinder am 14. Mai 1981 bei Dreharbeiten zu dem Film "Lola": Schwarzmagier


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen