© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

Pankraz,
Giorgio Agamben und die verkürzten Hermen

Giorgio Agamben, bekannt und berüchtigt als Lieferant riskanter Theoriesplitter, hat ein Büchlein mit dem Titel "Profanierungen" herausgebracht (Suhrkamp Verlag Frankfurt/M., 96 S., 7 Euro). Seine Kernthese ließe sich etwa auf folgende Formel bringen: "Besser ein liberaler Gottesstaat, wo die heiligsten Güter manchmal auch frech durch den Kakao gezogen werden dürfen, als eine verbissene, strikt säkularisierte Zivilgesellschaft, in der sich der Mensch an die Stelle Gottes gesetzt hat."

Der Leser ist zunächst schockiert. "Profanierung" heißt ja nichts anderes als Entweihung, Entwürdigung, und zwar Entwürdigung des Würdigsten, das es gibt, nämlich des Heiligen, des "heiligen Bezirks". Wenn deutsche Bildermagazine "in satirischer Absicht" Jesus Christus am Kreuz durch eine Weißblechdose am Kreuz ersetzen oder amerikanische Lageraufseher den Koran als Toilettenpapier in den Abtritt legen, um ihre Gefangenen zu zermürben, so ist das Profanierung. Profanierung hatte bisher den allerschlechtesten Ruf. Was soll jetzt daran gut sein?

Aber Agamben zeigt eine ganz andere Profanierungsstrecke auf. "Profan", erläutert er, heißt dem genauen Wortsinn nach "Vor dem geweihten, heiligen Bezirk". Wer profaniert, will (im Gegensatz zum Säkularisierer) das Heilige nicht stürmen, zerstören und "ersetzen", sondern er will es momentweise zu sich herüberziehen bzw. momentweise selber ins Heilige hinüberlangen. Er braucht das Heilige und ist letztlich um seine Erhaltung besorgt.

Dienst am Heiligen, sagt Agamben, ist ohne dauernde Profanierung gar nicht möglich. Der Pilger, der einen heiligen Schrein küßt, die Prozession am Feiertag, die eine Gottes-Ikone durch die Straßen trägt, der fromme Durchschnittsbürger, der gewisse, im Gottesdienst erfahrene Rituale, liturgische Gebärden oder Redeweisen in seinen Alltag hereinnimmt und ohne direkten Gottesbezug auf alle möglichen Zustände anwendet - sie alle sind Profanierer, ohne daß sie es wissen.

Agamben nennt schöne Beispiele von Kulturpraktiken, die ursprünglich Profanierungen waren: Kinderringelreihen, Ballspiele, Festmahlzeiten. Noch in den banalsten Formen dieser Verrichtungen haust eine Erinnerung an Abkunft aus heiligem Bezirk. Je intensiver und seinsvergnügter sich all die Esser und Tänzer, Spieler und Rätselrater ihrem Geschäft hingeben, um so liebevoller und toleranter - glaubt wenigstens Agamben - gestaltet sich ihre Beziehung zum Heiligen. Mag sein, sie nehmen das Heilige nicht mehr ganz ernst, doch sie nehmen es als Notwendigkeit hin, weil sie spüren, daß dort und nirgendwo anders ihr existentieller Kraftquell sprudelt.

Nun aber: Profanierung "als solche" gibt es gar nicht. Es ist mittlerweile fast ein kulturhistorischer Allgemeinplatz, daß faktisch die gesamte spezifisch menschliche, also vom Tier abgehobene, Lebenspraxis vom Heiligen abstammt, sich früher oder später aus heiligen Vorgaben, Glaubensanschauungen oder Ritualen entwickelt und so "säkularisiert" hat. Solange dieser Prozeß spontan verlief, mag er halbwegs dem von Agamben dargebotenen Bild entsprochen haben, doch er verlief eben nicht nur spontan.

Schon in der Antike, voller Wucht dann seit der frühen Neuzeit wurde die Säkularisierung vielerorts zu einem bewußt und aggressiv durchgezogenen Projekt, welches "Selbstermächtigung des Menschen" oder "Aufbruch zur Freiheit" usw. hieß. Die Profanierung war eines der Hauptinstrumente des Projekts: Das Heilige mußte entweiht und entwürdigt werden, damit es in sich zusammenfiel. Man kann also Säkularisierung und Profanierung nicht so lupenrein voneinander trennen, wie es Agamben unternimmt. Beide gehören zusammen. Die Säkularisierung war das Projekt, die Profanierung das Instrument.

Und diese Art von Profanierung war kein Ringelreihen zu Ehren des Sonnengottes und auch keine bloße Degradierung des heiligen Großorakels zur harmlosen Rätselecke. Sondern die Profanierer schlugen etwa (Athen 414 v. Chr) über Nacht voller Hohn allen heiligen Hermen die Geschlechtsteile ab, oder sie schlachteten (Zarathustra in seinen "Gathas", circa 1300 v. Chr.) hinterrücks die heilgen Rinder und wälzten sich grölend in deren Blute. Es waren grelle Events, dazu bestimmt, die Götter herauszufordern und die Gläubigen zu verhöhnen, und so ging es weiter durch die Zeiten und ist im Grunde bis heute so geblieben.

Projekt und Spontaneität gehen ineinander über, feuern sich gegenseitig an. Und immer ungenierter mischt sich der größte Profanierer der Weltgeschichte ein, den Agamben merkwürdigerweise überhaupt nicht erwähnt: das Geld, dessen rein rechnerisch-quantitative, in jedem Lebensbereich spürbare Saugkraft, wie ja schon Georg Simmel konstatiert hat, eine geradezu unheimliche antiheilige Attraktivität entfaltete und inzwischen unzählige Götterbilder zum Einsturz gebracht hat.

In Sport und Spiel, den beiden von Agamben am ausführlichsten analysierten Profanierungen, kann man es beobachten. Auch wenn die Spieler etwa einer Fußballmannschaft gar keine Ahnung mehr von der heiligen Abkunft ihres Spieles haben, folgen sie doch noch lange spontan den aus der Heiligkeit stammenden Ritualen, dem Schwur auf die "Fairneß", der Hymne am Anfang, dem Kodex, der sie dazu vergattert, auch außerhalb des Spielfelds eine untadelige, "heiligmäßige" Figur zu machen. Aber das Geld, das in immer höheren Beträgen erscheint, zersetzt alle diese Rituale und macht sie am Ende nur noch lächerlich.

Mittlerweile ist, wie jeder weiß, der Fußball voll säkularisiert, nämlich zum bloßen Geldtransfer entartet. Der ungetreue Schiedsrichter Hoyzer lieferte dazu das genau treffende Symbol. Dieser neue Heilige der Profanierung, Herrn Agamben sei's geklagt, wird wohl auch die anstehende WM überschatten, allen Anrufungen und Fanfarenstößen zum Trotz.


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