© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Das Ende der Illusionen
Der Euro ist zur Wachstumsfalle und zum Krisenverstärker geworden
Wilhelm Hankel

Letzte Woche wurde die Bastille ein zweites Mal erstürmt. Die Bürger Frankreichs und der Niederlande sprachen ihren Regenten das europapolitische Mißtrauen aus. Diese reagierten wie gewohnt. Dem Volk fehle es an Einsicht. Es laste Europa an, was es zu Hause quäle und bedrücke - die Arbeitslosigkeit, das teure Benzin, die unsicheren Renten.

Kein Wort darüber, daß es vielleicht diese Europa-Visionen sein könnten, die die Miseren zu Hause hervorriefen und erklärten, warum sich volkswirtschaftlich blühende Landschaften in Deutschland, Frankreich oder den Niederlande zunehmend in verdorrende Brachen verwandelten. Wer Visionen habe, befand einst einer der unbelehrbarsten Europa-Visionäre, Helmut Schmidt, gehe besser zum Psychiater. Aber weder er noch seine Nachfolger und Kollegen haben sich an diesen Rat gehalten. Selbst nach dem Desaster halten sie stur daran fest, die konstitutionellen Garantien der Bürger- und Freiheitsrechte in ihren Heimatdemokratien zu untergraben - denn darauf läuft ihr Festhalten am Ratifikationsprozeß des geplatzten Blankoschecks für das europäische Politbüro in Brüssel hinaus (JF 20/05). Genauso sollen die Segnungen des Euro, dessen fatale Folgen für den inneren Zustand und Zusammenhalt der Gemeinschaft niemand übersehen kann - die (noch) wohlhabenden EU-Kernländer verarmen, und die (noch) armen Nachhol-länder finanzieren ihre Wachstumsschübe aus sich aufschaukelnden Inflationsraten - neuen und noch ärmeren Zuschußkandidaten zuteil werden. Jeder Laie kann sich ausrechnen, daß die Tage einer solchen Währungsunion gezählt sind.

Wie ein zu stark aufgeblasener Luftballon zerplatzt sie an sich in ihrem Inneren aufladenden und verschärfenden Spannungen und Konflikten - wie alle ähnlichen Versuche vor ihr! Doch Schutzleute des Euro in der Europäischen Zentralbank (EZB) wollen das nicht wahrhaben. Sie bestreiten jeden Zusammenhang zwischen Euro, Teuerung und Sozialkrisen. Die Diskrepanz zwischen der Lebenserfahrung und -klugheit einfacher, sich im Alltag bewährender Menschen (und Millionen Wähler) und der Politikerklasse könnte nicht größer sein, sie ist geradezu beklemmend. Wer das von diesen Politikern angestrebte Dschingis-Khan-Europa - es soll an syrischer Wüste und russischer Taiga enden - seinen Wählern als verläßlichen Schutz vor den Gefahren der Globalisierung und Garant des sozialen Friedens in und zwischen den europäischen Nationen verkauft, hält entweder diese für dumm oder ist es selber.

Ein solches Gebilde wäre weder von Brüssel noch sonst einem Ort aus regierbar. Und der dazugehörige "Binnen"markt wäre durch keine Aufsicht mehr "in Ordnung" zu halten. An ihm herrscht das Wild-West-Regime marktbeherrscher und standortflexibler big players, während das Gros der kleinen und ortsgebundenen Mittelstandsunternehmen auf der Strecke bliebe. Ludwig Erhard, der letzte Liberale (ohne die Vorsilbe Neo-), hat gerade dieses Ende seiner Sozialen Marktwirtschaft gefürchtet, vor ihm gewarnt und mutig dagegen angekämpft - vergebens, die FDP hielt es damals wie heute mehr mit dem großen als dem kleinen Geld.

Und der Euro? Er löst einen durch nichts zu stoppenden Krieg der Firmen gegen ihre eigenen Heimat-Volkswirtschaften aus und einen in Europa noch nie erlebten Arbeitskräftenomadismus. Wenn die Firmen überleben wollen, müssen sie dort investieren, wo Arbeit, Soziales und Steuern günstiger sind. Die Arbeitskräfte nehmen den umgekehrten Weg: Sie wandern dorthin, wo es mehr zu verdienen gibt. So wird der Euro für die ärmeren EU-Länder zur begehrten Entwicklungshilfe: Sie bekommen das Kapital der reicheren Länder und liefern ihnen ihre Arbeitslosen frei Haus. Für die Wohlstandsländer der EU wird derselbe Euro zur Wachstumsfalle und zum Krisenverstärker und reißt immer größere Löcher in deren Staats- und Sozialhaushalte!

Die EZB verschärft mit ihrer Politik die Probleme beider Seiten. Gleiche Euro-Kreditzinsen für die kapitalschwachen wie kapitalstarken Mitgliedsländer heißt bei den einen, die Inflation aufzuheizen (denn hier müßten die Zinsen höher sein), bei den anderen, die Krise zu verschärfen (denn hier könnten die Zinsen niedriger sein).

Höhere Zinsen für alle würden die Inflation der einen mit der Krise der anderen bekämpfen - welch absurde Vorstellung vom Euro als Schrittmacher eines friedlich vereinten Europa! Einen Ausgleich zwischen Noch-Reich und Noch-Arm kann es mit ihm nicht geben. Die ihre Wirtschaftskraft per Euro-Freibier ausschenkenden reichen Wirte sind pleite, ehe auch nur einer ihrer armen Gäste seine Zeche bezahlen kann!

Weder EU-Verfassung noch Euro sind tragfähige Projekte für ein prosperierendes Europa. Europas Wähler wissen das längst, nur ihre Politiker offenbar noch nicht. Letztere müssen ihre Illusionen aufgeben, nicht erstere. Das gilt auch für den Euro. Hält man an ihm fest, droht im der Tod auf Raten. Immer mehr besorgte Sparer und kluge Investoren werden sich von ihm verabschieden und sich zukunftssichere Vermögensspeicher suchen: eine Abstimmung per Geldschein.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel lehrt Währungs- und Entwicklungspolitik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main.


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