© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Für ein Europa der Traditionen
Politische Tagung: Das Studienzentrum Weikersheim veranstaltete seinen 27. Jahreskongreß / Vortrag von Rocco Buttiglione
Moritz Schwarz

Immer wieder befürchtet man, der Redner habe den Faden verloren - doch Bernhard Friedmann wägt nur seine Worte. Mit seiner unzeitgemäß bedächtigen, aber präzise auf den Punkt kommenden Art zu sprechen wirkt der Präsident des christlich-konservativen Studienzentrums Weikersheim (SZW) wie ein letzter Vertreter aus der Hochzeit der bürgerlichen Demokratie im 19. Jahrhundert, als die Parlamente angeblich der Typus des nur dem Gewissen verpflichteten, in seiner Bürgerlichkeit volkstümlichen Bildungshonoratioren bevölkerte.

In der gotischen Säulenhalle von Schloß Weikersheim begrüßt der Wirtschaftsprofessor, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und vormalige Präsident des Europäischen Rechnungshofes am Katheder stehend seine Gäste. Rund 170 vorwiegend ältere Herrschaften waren am vergangenen Freitag - nur wenige Tage nach der Erschütterung der EU durch die Referenden in Frankreich und Holland - zum 27. Jahreskongreß mit dem Thema "Welches Europa wollen wir?" gekommen.

Gefahr für Europa: zwischen Islam und Laizismus

Draußen steht die Hitze der Junisonne zwischen den grünen Hügeln des Hohenloher Landes. Drinnen beginnt in der klammen Kühle des mittelalterlichen Gemäuers der Reigen der Referate. Durchweg hochkarätige Referenten hat das SZW gewinnen können. Den Dominikaner-Pater und Universitätsprofessor Wolfgang Ockenfels, katholischer Medienprofi und Chefredakteur der Zeitschrift Die Neue Ordnung; den ehemaligen Sprecher der Regierung Kohl, Friedhelm Ost; den vormaligen Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks und langjährigen TV-Moderator Heinz-Klaus Mertes; den Historiker, Orientalisten und Leiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Berlin, Rainer Glagow; und den EU-Vizeparlamentspräsidenten und stellvertretenden CSU-Vorsitzenden Ingo Friedrich.

Das geistige Europa, so grundierte Theologe Ockenfels mit seinem Eröffnungsvortrag die Veranstaltung, sei die Frucht des Investiturstreits. Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Kaiser stellte die Weichen für eine freiheitliche Ordnung, wie sie schließlich als spezifisch europäische Errungenschaft entstanden ist. Heute sei die Trennung von Glaube und Macht doppelt bedroht: durch einen voraufklärerischen Islam und einen postaufklärerischen Laizismus, der von der Politik die weltanschauliche Moral einfordert, aus der die Religion sie vor tausend Jahren entlassen hat.

Beispiele für weltanschauliche, aber auch simpel politische Manipulation durch die Medien lieferte Ost, der der Welt der theoretischen Erkenntnis seines Vorredners die Erfahrung aus der Praxis hinzufügte. Erstaunlich dabei die Disposition des Medienkonsumenten zur Manipulation: So erinnerten sich zum Beispiel bei einer Untersuchung des ZDF über die Hälfte der Probanden an Nachrichten, die in der zuvor eingespielten Testsendung gar nicht enthalten waren.

Im Stil politischer Kommentierung widmete sich Medienmann Mertes der Frage: "In welcher Verfassung ist Europa?" Fazit: Von Brüssel aus nimmt eine EU-Nomenklatur, von Berlin rot-grüne Gesellschaftsexperimentatoren den Bürger in die Zange. Naturgemäß ortete EU- und CSU-Politiker Friedrich das Problem weniger bei den blau-gelben Bürokraten als bei den rot-grünen Politikern. Historiker Glagow kehrte abschließend zum Ausgangpunkt zurück und widmete sich den geistigen Fundamenten Europas.

Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung war freilich der Auftritt des ehemaligen designierten EU-Kommissars und jetzigen italienischen Kulturministers Rocco Buttiglione, der eigens mit einer Maschine der italienischen Luftwaffe aus Rom eingeflogen wurde.

Beifall brandete im prächtigen Rittersaal des Schlosses auf, als er noch während des Vortrags seines Vorgängers den Saal betrat. Im Herbst 2004 war der bekennende Katholik wegen seiner papsttreuen Überzeugung - die Diskriminierung von Homosexuellen sei Unrecht, die Homosexualität an sich aber Sünde - als Kommissar vom EU-Parlament verhindert worden. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten reflektierte der Philosophie-Professor und Vorsitzende der italienischen Christdemokraten noch einmal seinen Fall und resümierte, daß Europa sich einer "Ideologie des Nihilismus" ausgesetzt sehe: Die "eine Wahrheit, daß es keine Wahrheit gebe" bedrohe Europa zugleich mit jakobinischer Gesinnung und einer Erosion seines Selbstbehauptungswillens. Buttiglione plädierte für ein Europa der Traditionen, der Familie und der religiösen Erneuerung, um dem Untergang durch Selbstauslöschung zu entgehen.

Wenn den Vorträgen auch die thematische Kongruenz und manchem durch einen zu mosaikhaften Stil die wissenschaftliche Kohärenz fehlte, so bot das SZW mit der Tagung doch ein Kaleidoskop, das unentbehrliche intellektuelle "Splitter" für das Wehr- und Rüstzeug in der geistig-politischen Auseinandersetzung lieferte. In ihren Schriften, mit ihren Berliner "Kamin-", und Stuttgarter "Wirtschaftsgesprächen" und den "Internationalen Studientagen" auf Schloß Weikersheim vertieft die konservative "Denkfabrik" ihre Arbeit.

Präsident Friedmann beschloß die Tagung mit der Verabschiedung des Manifests "Europa braucht eine Seele", das dazu auffordert, aus dem Scheitern der EU-Verfassung die Konsequenzen zu ziehen und sich künftig der geistigen statt der bürokratischen Vertiefung Europas zu widmen.

Kontakt: SWZ, Haufstraße 12, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Tel.: 07 11 / 4 40 96 70


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