© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Der lange Weg der Selbstfindung
Detlef Bald weist in seiner Rückschau auf fünfzig Jahre Bundeswehr auf "restaurative Tendenzen" in der heutigen Interventionsarmee hin
Peter Lebitsch

Der Militärhistoriker Detlef Bald untersucht die politische Struktur und Mentalität der Bundeswehr in ihrer nunmehr fast fünfzigjähri­gen Geschichte. Am 12. November 1955 offiziell gegründet, changierte die Bundeswehr vom ersten Tag an zwischen Alt und Neu, Reform und Tradition. Die Integration der neuen Armee in das Staatsgefüge wurde "zur Bewährungsprobe für die Demokratie".

Im Vorwort heißt es, daß Bald "jahrelange Archivstudien" getrieben habe, um dieses Buch zu schreiben. Davon merkt der Leser nicht allzu viel. Höchstens etwa zehn Prozent der Quel­lenangaben beziehen sich auf Archivalien. Die "Militärelite des Ostfeldzugs", welche die neuen Streitkräfte aufbaute, akzeptierte sehr rasch deren internationale Einbindung, denn nur sie habe die Wiederbewaffnung ermöglicht.

Die Bundeswehr beschritt einen langen Weg der Selbstfindung. Der Reformer Wolf Graf von Baudissin entwickelte das Konzept der "Inneren Führung". Unter Berufung auf Scharn­horst wollte Baudissin eine "Parlamentsarmee" schaffen, die sich in das demo­kratische Regierungssystem einfügte. Die Idee vom "Bürger in Uniform" nahm Gestalt an. Daneben hätten die "Traditionalisten", unter ihnen Adolf Heusinger und Hans Speidel, den Gedanken von der Armee als Staat im Staat zu reaktivieren versucht. Auch an dieser Stelle fehlt die notwendige Konkretisierung.

Die westdeutsche Armee unterstand direkt dem Kommando der Nato. Die Alliierten gaben, wie es Adenauer gefordert hatte, eine Ehrenerklärung für jene Soldaten ab, die in der Wehr­macht gedient hatten. Adenauer und Strauß beabsichtigten, die Bundeswehr mit Atomwaf­fen auszurüsten. Anfangs sei das Kanzleramt "zu einem Krieg mit Atomwaffen" entschlossen gewesen, behauptet Bald, ohne diese These zu beweisen.

Bis Ende der sechziger Jahre stammten die meisten Offiziere aus gehobenen sozi­alen Schichten. Die Ausbildung blieb veraltet und entsprach Maßstäben der dreißiger und vierziger Jahre. Taktik und Drill kamen vor Bildung. Auch aufgrund ihres miserablen Ausbildungsstands sei die Bundeswehr nur "bedingt einsatzbereit" gewesen, wie der Spiegel 1962 meldete. Noch lange hätten "hitlertreue Offiziere" wie Werner Mölders, Ludwig Kübler und Eduard Dietl ein re­lativ hohes An­sehen genossen. General Heinz Karst, zuständig für Ausbildung, sagte: "Freiheit und Demokratie sind keine letzten Werte!" Inwiefern diese Aussage charakteristisch sein soll, läßt der Autor in der Schwebe.

Die Entspannung änderte das Selbstverständnis der Bundeswehr grundlegend. Helmut Schmidt reformierte das Militär mit dem Ziel, die Bundeswehr in "demokratische Verhält­nisse" einzubinden. An die Stelle des Konzepts der "massiven Vergeltung" trat nun die Lo­sung "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen". Soziale Abkapselung und Distanz gegenüber Linksparteien sollten der Vergangenheit angehören. Die Ausbildung wurde in das allgemeine Bildungssystem integriert, so daß der größte Teil der Offiziere ab Ende der siebziger Jahre ein Studium absolvierte. Begünstigt auch durch den Generationswechsel nahm die sozi­ale Durchlässigkeit des Offiziersberufs zu. Doch der "Reformschwung" sei nach wenigen Jahren erlahmt. Konservative Generale drängten laut Bald die akademische Bildung zurück und be­tonten rein militärisches Denken.

Seit den achtziger Jahren, schreibt der Autor, kennzeichneten Nachrüstung und Hinwendung zu einer als "unpolitisch" verstandenen Wehrmacht die Lage. Der Kämpferkult kehrte wieder - "soldatische Erziehung" statt "ratio", lautete die Devise. Die "Söhne-Generation" habe den Tra­ditiona­lismus der "Väter-Generation" neu belebt.

1990 verschwand die NVA als "Armee der SED" nahezu spurlos. Die Bundeswehr übernahm nur wenige ihrer Offi­ziere. Heute operieren deutsche Streitkräfte außerhalb des Nato-Gebiets. Krieg wird zum Normalfall. Unklar bleibt vor allem die abschließende Be­urteilung der Bundeswehr, ihre Einordnung in die deutsche Mili­tärgeschichte. Ist die Bun­deswehr trotz "restaurativer" Tendenzen in der Normalität parla­mentarisch verfaßter Staaten angekom­men oder nicht? Hierzu hätte es auch eines Vergleichs mit den Armeen anderer europäischer Länder bedurft. 

Detlef Bald: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005. Verlag C. H. Beck, München 2005, 232 Seiten, broschiert, 12,90 Euro


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