© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Geschichtspolitik
Müntefering, Marx und der 17. Juni 1953
Dieter Stein

Am 16. Juni feiert die CDU ihren 60. Geburtstag: ein geeigneter Moment, in sich zu gehen und Bilanz zu ziehen. Die CDU will - wenn am 18. September tatsächlich Neuwahlen stattfinden - in Berlin mit der bayerischen Schwester und der FDP die Macht übernehmen und den Kanzler stellen. Selbstverständlich gehören angesichts der akuten Krise Zukunftsfragen ins Zentrum der Debatte. Welche Antwort hat Angela Merkel auf die demographische Katastrophe im Unterschied zu Gerhard Schröder? Welcher Ausweg aus der Schuldenfalle wird gewählt, oder sollen weiter munter Schulden gemacht werden? Gibt es überhaupt andere Antworten, oder wechselt nur die Verpackung und der Verkünder der Nachrichten? Ist der Wechsel von Schröder zu Merkel so bewegend wie der von Ulrich Wickert zu Anne Will bei den Tagesthemen?

Vor allem: In welchem weltanschaulich-kulturellen Nährboden wurzeln die Antworten auf die großen Zukunftsfragen? Da kommt man nicht umhin, in die Vergangenheit zu blicken: Welchen Traditionen sieht sich eine Partei oder politische Bewegung verpflichtet? Welche geschichtspolitischen Anleihen nimmt sie, was ist der historische "Auftrag", den die handelnden Personen in der Politik verspüren?

Die Linke hat immer ihre Anhänger mobilisiert mit dem Mythos, auf der Seite der Aufklärung ("Brüder, zur Sonne ..."), des Fortschritts, der Gleichheit zu stehen. Nun gibt es aber eine totalitäre Hypothek: Die sozialistische Experimente entarteten in ihren unterschiedlichen Ausformungen immer wieder zu blutrünstiger Knechtschaft. Deutschland hat zwei verheerende Varianten 1933-1945 und 1945-1989 über sich ergehen lassen.

Bis heute versucht ein erheblicher Teil der Linken, durch einen eindimensionalen "Antifaschismus" diese historische Last zu relativieren, mit dem Terror des braunen von dem des roten Sozialismus abzulenken, um einen politischen "Kampf gegen Rechts" bis ultimo perpetuieren zu können. Statt dieser "antifaschistischen" Kulissenschieberei auf den Leim zu gehen, müßten bürgerliche Kräfte einen konsequenten Antitotalitarismus einfordern. Die CDU versagt hier kläglich.

Die halbherzige, kleinkarierte, gelangweilte, beschämende Art und Weise, in der in Deutschland des heldenhaften Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 gedacht wird, ist hier ein Negativ-Beispiel. Der 17. Juni 1953 steht für den unbändigen Freiheits- und Einheitswillen der Deutschen und den totalen moralischen Bankrott des sozialistischen Experiments in Gestalt der DDR. Wird die Erinnerung an den Aufstand gegen die kommunistische Diktatur unter einer Kanzlerin Merkel einen höheren Stellenwert erhalten? Die geschichtspolitische Herausforderung wird nicht erkannt und nicht gesucht.

Aktueller Fall: Dieser Tage erst defilierte der SPD-Parteivorstand unter Führung von Franz Müntefering fröhlich durch das Karl-Marx-Haus in Trier. Neckisch posierte der SPD-Chef neben der Büste des Schöpfers der kommunistischen Bewegung. Reaktion von der CDU? Null-komma-Nichts. Rot-Grün, die Linke, hat geschichtspolitisch das Heft in der Hand. Eine Wende ist nicht in Sicht.

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