© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

PRO&CONTRA
Kinderabhängige Rente einführen?
Jochen Pimpertz / Tim Köhler-Rama

Das Umlageverfahren in der gesetzlichen Rentenversicherung läßt sich durch eine Kombination aus beitragsbezogener und an die Zahl der eigenen Kinder gekoppelter Rente demographiefest machen. Ein entsprechendes Modell hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) vorgestellt. Die Idee dahinter: Wer keine Kinder erzieht, hat gegenüber zukünftigen Beitragszahler-Generationen auch keinen vollen Rentenanspruch - sondern nur in der Höhe, in der man sich indirekt, etwa über Steuerzahlungen, an den Kindererziehungskosten anderer beteiligt. Das sind nach den Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft 45 Prozent. Umgekehrt werden 55 Prozent der Kosten, die Kinder verursachen, von den Familien privat geschultert.

Überträgt man diese Relation auf das vom IW vorgeschlagene Rentenmodell, hätte etwa im Jahr 2003 ein Durchschnittsrentner mit seinen Beiträgen einen Rentenanspruch in Höhe von 429 Euro (45 Prozent der damaligen durchschnittlichen Monatsrente von 954 Euro) erworben. Bleiben 525 Euro (55 Prozent), die bei durchschnittlich 2,16 Kindern nur an Eltern gezahlt werden - pro Kind also 243 Euro.

Die kinderabhängige Rente würde das Problem der mit den zunehmenden Rentnerzahlen steigenden Ausgaben der Rentenkasse lösen. Denn im Jahr 2030 beliefe sich das kinderbezogene Altersgeld bei durchschnittlich 1,63 Kindern je Frau eben im Schnitt nur noch auf 396 Euro.

Zudem sinkt mit der rückläufigen Geburtenrate auch die im IW-Modell an den steuerfinanzierten Kindererziehungskosten festgemachte beitragsbezogene Rente.

Unterm Strich würden die Ausgaben der Rentenversicherung bis 2030 nur um fünf Prozent klettern, obwohl die Zahl der Rentner bis dahin um 40 Prozent ansteigt.

 

Dr. Jochen Pimpertz ist Sozialexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (Internet: www.iwkoeln.de ).

 

 

Hinter den radikalen Vorschlägen der Halbierung der Rente für Kinderlose oder der kinderzahlabhängigen Beitragsstaffelung steht der Versuch, die gesetzliche RV (GRV) bevölkerungspolitisch zu instrumentalisieren. Es ist der Versuch, durch die rentenrechtliche Berücksichtigung eines bestimmten "generativen Verhaltens" den Anreiz für Frauen zu setzen, Kinder zu gebären. Abgesehen davon, daß dies die Präferenzstruktur von Frauen außer acht läßt - sie wollen erwerbstätig sein und Kinder haben; wenn beides zusammen nicht geht, entscheiden sie sich immer öfter für ersteres -, steht dies auch dem Wesen der gesetzlichen Renten- und Sozialversicherung insgesamt entgegen. Die GRV hat die Funktion, individuelle Lebensrisiken der Versicherten und ihrer Angehörigen zusammenzufassen und damit kalkulierbar zu machen. Sie ist insofern vor allem eine Vorsorgegemeinschaft und wäre in einer Funktion überfordert, originär staatliche Zielsetzungen zu verfolgen. Die Übertragung des staatlichen Ziels einer Erhöhung der Geburtenraten mittels Honorierung eines "generativen Beitrags" steht der Grundfunktion der Sozialversicherung klar entgegen, insbesondere dann, wenn dadurch die individuelle Schutzbedürftigkeit der Versicherten nicht vermindert, sondern noch erhöht wird. Dies wäre im Fall der Halbierung der Rente für Kinderlose oder höherer Beiträge für Kinderlose eindeutig der Fall. Für die vielen geringverdienenden Frauen könnte die GRV ihre Schutz- oder Abstützungsfunktion nicht mehr erfüllen. Wenn ihre Rentenanwartschaften aufgrund individueller Kinderlosigkeit beschnitten würden, würde dies ihre Schutzbedürftigkeit weiter erhöhen und im Ergebnis eine neue (weibliche) Altersarmut produzieren. Die Vorschläge kämen einer Mißachtung der Verantwortung der Versicherung gleich und wären voraussichtlich ein verfassungswidriger Eingriff in die geldwerte Vermögensposition der Versicherten.

 

Dr. Tim Köhler-Rama, in Zusammenarbeit mit Katrin Gleibs, Rentenexpertin/Dezernat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der BfA.

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