© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Gottfried Diener
Der stille Held
von Christian Vollradt

Daß der 17. Juni 1953 nicht nur ein Arbeiterprotest, sondern ein alle Schichten umfassender Volksaufstand war, daß sich der Zorn der Mitteldeutschen gegen die Diktatur der kommunistischen Machthaber nicht nur in Ost-Berlin, sondern auch in der "DDR-Provinz" entlud, dafür steht beispielhaft das Schicksal des damals 32 Jahre alten Bäckermeisters Gottfried Diener aus dem niederschlesischen Kollm.

Am Vormittag des 17. Juni schloß sich Diener zusammen mit Kollegen dem Protestzug der Arbeiter der Waggonbauwerke in Niesky bei Görlitz an. Gemeinsam marschierte man zur SED-Kreisleitung und zur Dienststelle der Stasi. Die Büros wurde verwüstet, anrückende Volkspolizisten wenig zimperlich entwaffnet, die Schergen des Unterdrückungsapparates, die sich im Gebäude verschanzt hatten, durch angezündete Strohballen "ausgeräuchert" und schließlich in einen Hundezwinger gesperrt. Hier im südöstlichen Zipfel der DDR erwies sich die von den Aufständischen gewählte Führung als handlungsfähig; hier konnten - wenigstens für kurze Zeit - neue, relativ stabile Verhältnisse aus der Revolte erwachsen; hier gab es eine bürgerlich-demokratische Stadtverwaltung mit loyalen Exekutivorganen, eine "wiedererrichtete" SPD und den Versuch der Lehrerschaft, die Schulen weltanschaulich neutral auszurichten. Davon beflügelt machte sich Diener daran, in Kollm ähnliches zu versuchen; er rief zu einer Demonstration auf, forderte wirtschaftliche Verbesserungen und freie und gesamtdeutsche Wahlen.

Politischen Widerstand gegen die SED leistete Diener schon lang vor 1953: Schwer kriegsversehrt aus britischer Gefangenschaft heimgekehrt, hatte er die kommunistische Willkür zu spüren bekommen, als er den Familienbetrieb geplündert und enteignet vorfand und ihm anstelle der Selbständigkeit nur die Arbeit im staatlichen "Konsum" übrigblieb. Daraufhin gründete er in Kollm einen CDU- Ortsverband und brachte es unter zunächst noch annähernd demokratischen Umständen zum Vize-Bürgermeister.

Für seine Beteiligung am 17. Juni wurde er Wochen später als "Rädelsführer" zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. In den berüchtigten Haftanstalten Bautzen und Waldheim waren die Häftlinge, die mit einem großen "X" auf dem Rücken als 17er gekennzeichnet waren, den Schikanen der Bewacher ausgeliefert. 1957 gelang ihm die Übersiedlung in den Westen. Mit anderen Schicksalsgenossen empfing ihn kurz darauf Bundeskanzler Konrad Adenauer in Bonn und würdigte den Einsatz der Männer für die Freiheit und Selbstbestimmung aller Deutschen. Heute unterstützt Diener die Arbeit des kleinen von 17ern gegründeten Privatmuseums "Gegen das Vergessen - Sammlung zur Geschichte der DDR" im badischen Pforzheim, nahe seinem heutigen Wohnort Neuenbürg, das die Erinnerung wachhalten will, an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und seine "stillen Helden", zu denen auch er gehört.

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