© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Am Anfang waren die Sowjets
Sechzig Jahre CDU: Im Laufe ihrer Geschichte haben sich die Christdemokraten von der Nation weitgehend verabschiedet
Detlef Kühn

Die Russen hatten es eiliger als ihre westlichen Partner im Sieg. Unmittelbar nach Kriegsende schufen sie 1945 die Voraussetzungen dafür, daß in ihrer Besatzungszone deutsche Parteien entstehen konnten. Nicht nur Kommunisten sondern auch Sozialdemokraten, christliche Demokraten und Liberale ergriffen die Chance, beim Wiederaufbau des zerstörten und amputierten Deutschlands mitzuwirken, und gründeten noch im Sommer 1945 Parteien, die alle das Ziel hatten, in und für ganz (Rest-) Deutschland zu wirken. Das war angesichts der Aufteilung des besiegten Landes in Besatzungszonen und des alltäglichen Kampfes gegen Hunger und Not nicht einfach. Immerhin: Auf der kommunalen Ebene, in der Bildungs- und Kulturpolitik und in der Verwaltung des ökonomischen Mangels konnte man in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) als Deutscher wieder versuchen, Einfluß zu gewinnen. Wichtig für die Sieger war eine "antifaschistische" Grundeinstellung. Ansonsten sorgten willkürliche Enteignungen, Verhaftungen und Verschleppungen durch die sowjetischen Besatzer vor allem in bürgerlichen Kreisen dafür, daß nicht vergessen wurde, wer hier letztlich das Sagen hatte.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz entstanden damals die Anfänge der Strukturen, auf denen noch heute große Teile des Parteiensystems im wiedervereinigten Deutschland beruhen. Im Gegensatz zu dem überwältigenden Interesse, das das eigentliche Kriegsende vor 60 Jahren in diesen Wochen gefunden hat, wird den deutschen Neuanfängen danach nur mäßige Aufmerksamkeit zuteil.

Zumindest für die CDU hat das nachvollziehbare Gründe. Ihr historisches Bewußtsein ist geprägt durch die Erinnerung an Konrad Adenauer und nicht an Andreas Hermes und Jakob Kaiser, die sich in der Ostzone mit den Widrigkeiten des Alltags herumschlugen. Letztere konnten wesentlich früher eine Basis für überregionales Wirken finden als der von den Briten zuerst ein- und bald darauf wieder abgesetzte Kölner Oberbürgermeister Adenauer, dem das erst im Frühjahr 1946 gelang.

Im Büro von Hermes, den die Sowjets zum Leiter des Ernährungsamtes bestimmt hatten, am Fehrbelliner Platz im später zu West-Berlin gehörenden Bezirk Wilmersdorf wurde der "Aufruf der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands" erarbeitet, der bereits am 26. Juni 1945 veröffentlicht wurde. Auf einem "Reichstreffen in Bad Godesberg" vom 14. bis 16. Dezember akzeptierten die Delegierten aus allen Zonen den in Berlin gefundenen Namen, den später nur der bayerische Landesverband nicht übernahm. Adenauer war allerdings mit einem bestimmenden Einfluß der Berliner Parteifreunde nie einverstanden. Nachdem er am 1. März 1946 in Neheim-Hüsten zum Vorsitzenden der Partei in der Britischen Zone gewählt worden war, widmete er sich nicht nur dem raschen Aufbau der Parteistrukturen im Westen, sondern drängte auch den Einfluß der der Reichsidee verpflichteten Politiker im Osten energisch zurück. Jakob Kaiser, Johann Baptist Gradl, Ernst Lemmer und andere aus dem Kreis der Berliner Gründungsmitglieder kamen zwar, nachdem sie in der SBZ von den Sowjets um ihre Ämter und Möglichkeiten gebracht worden waren, in der West-CDU noch zu einem gewissen Einfluß und in den Kabinetten Adenauers sogar zu Ministerämtern. Letztlich wurde ihnen aber ihr Widerstand gegen sowjetische Repressalien nicht gedankt. Der gesamtdeutsche Gedanke war jedenfalls in den fünfziger Jahren in SPD und FDP, wo eine aktive Wiedervereinigungspolitik populär war, stärker verankert als in der CDU. Adenauer und seine Partei setzten dagegen eindeutig auf Westbindung der Bundesrepublik, auf ein Aufgehen in den entstehenden westeuropäischen Strukturen und verteufelten alle Bemühungen um Wiedervereinigung als "Neutralismus". Politiker wie Gradl gerieten in der CDU in eine deutschlandpolitische Außenseiterposition.

Die Union wurde von der Wiedervereinigung überrascht

Auch später stand für die CDU und ihren Kanzler Helmut Kohl die Vereinigung der getrennten Teile Deutschlands nie "auf der Tagesordnung der Weltgeschichte". Niemand in wie außerhalb der CDU hätte sich noch in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Traum vorstellen können, diesem Bundeskanzler könnte es einmal vergönnt sein, sich als "Kanzler der Einheit" aufzuführen und zu behaupten, er habe die Einheit schon immer gewollt.

Daß es Ende 1989 dann anders kam, lag an einer Fähigkeit Kohls, die unter anderen Umständen auch schon Adenauer ausgezeichnet hatte: Er erkannte schneller als andere, was sowieso kommen würde - in diesem Fall die Wiedervereinigung -, und setzte sich ohne Bedenken an die Spitze der Bewegung. 1990, als die Sozialdemokraten noch überlegten, ob die Einheit Deutschlands unseren Nachbarn zuzumuten sei oder ob man nicht besser aus Kostengründen überhaupt auf einen solchen Schritt verzichten sollte, erzielte die CDU vor allem in der untergehenden DDR, deren Bevölkerung bisher als sozialdemokratisch gegolten hatte, schöne Wahlerfolge. Kohl konnte damals seine im Westen schon gar nicht mehr populäre Herrschaft nochmals bis 1998 festigen.

Heute, im Jahre 2005, schickt sich die CDU erneut an, die Macht in Deutschland zu übernehmen. Vorbereitet durch kapitale Fehler und Versäumnisse der rot-grünen Koalition sowie Wahlerfolge auf Länderebene sind die Chancen dabei gar nicht schlecht. Dies ist allerdings um so erstaunlicher, als ein Großteil der Wähler, die - Umfragen zufolge - beim nächsten Mal CDU wählen wollen, dieser Partei und ihrem Personal gerade nicht zutraut, auf die unübersehbaren Probleme Deutschlands besser oder auch nur anders als die bisher Regierenden zu reagieren. Dieses Mißtrauen der Wähler in die gesamte politische Klasse und das Parteiensystem als solches könnte der nunmehr sechzigjährigen CDU - wenn nicht schon im Herbst, so doch bald danach - zum Verhängnis werden.

Alle Parteien, auch die CDU, haben ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem. Eine Ursache ist, daß in der Vergangenheit viel zu sehr auf "weiche" Themen in der Politik gesetzt wurde, weil man die wirklich wichtigen Fragen von der Bevölkerung fernhalten wollte. Das gilt für die Einwanderungspolitik ebenso wie für die sich seit Jahrzehnten abzeichnenden Folgen der Kinderlosigkeit, für die Einführung des Euro ebenso wie für die Osterweiterung der Europäischen Union, für die Absage an (deutsche) nationale Interessen ebenso wie für die Grenzen Europas. Sollen demnächst nicht nur die Türkei, sondern auch Israel, Marokko und Rußland zu "Europa" gehören und an den dann sicher nicht mehr gefüllten Fleischtöpfen Brüssels teilhaben? Auch von der CDU hört man dazu keine eindeutigen Auskünfte. Sie kann bis zum Herbst und vor allem danach noch viel falsch machen.

Unter den gegebenen Umständen fällt es schwer sich vorzustellen, die CDU könnte im Jahre 2045 in alter Frische ihr hundertjähriges Bestehen feiern. Allerdings gilt das - und das ist kein Trost für deutsche Wähler - für alle derzeitigen Parteien, unabhängig von ihrem Alter. Die Entscheidungen der Franzosen und Holländer, die im Gegensatz zu den Deutschen so glücklich sind, noch etwas Wichtiges mitbestimmen zu dürfen, über die sogenannte europäische Verfassung haben die Verwerfungen deutlich gemacht, die Europa drohen.

De Gaulle war die Nation wichtiger als Adenauer

Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage der jeweiligen Identität, der Nation, in Europa. Charles de Gaulle, einst ein Mitstreiter Adenauers auf der europäischen Ebene, konnte sich unseren Kontinent nur als "Europa der Vaterländer" vorstellen. Adenauer, deutlich weniger nationalbewußt, war sich in dieser Frage nicht so sicher. Auch für Angela Merkel wird alles davon abhängen, ob und wenn ja welche Antworten sie darauf findet. Versagt sie in der nationalen Frage, wird ihre Partei ebenso wie einst die SED, die sich ebenfalls von der deutschen Nation abgewandt hatte, untergehen.

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