© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Streit an der Grenze des Vaterlandes entbrannt
Südtirol: In Bozen ist das Zusammenleben zwischen Deutschen und Italienern noch immer von der Vergangenheit belastet
Heinold Rottensteiner

Am letzten Sonntag im Mai war in der Alpenstadt Bozen ungewöhnlich viel los. Silvio Berlusconi hatte sein Kommen angekündigt. Ein Teil der Bozner Bevölkerung freute sich und hatte die grün-weiß-rote Trikolore griffbereit, um dem presidente zuzujubeln. Andere Bozner wiederum erwarteten den Besuch des italienischen Ministerpräsident mit Skepsis. Dazu gehörte die deutsche Minderheit.

In Bozen hatte Berlusconi zwei ganz unterschiedliche Termine : Im vornehmsten Hotel der Bozner Altstadt erwartete ihn ein politisches Gespräch mit dem Tiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder und mit Elmar Pichler Rolle, dem Parteiobmann der Südtiroler Volkspartei (SVP). Der zweite Termin sah seine Teilnahme an einer Siegesfeier am Siegesplatz im italienischen Teil Bozens vor. Dieser Auftritt hatte es in sich: überall nervöse Polizeikräfte, Scharfschützen auf den Dächern, Hubschrauberlärm erfüllte die von Bergen eingekesselte Landeshauptstadt.

Auch die Berufsfeuerwehr Bozen war Teil des Sicherheitsapparats: Sie wurde zwar nicht gegen Flammen, aber zur Entfernung einer roten Kommunisten-Fahne eingesetzt. Diese flatterte am Balkon eines Berlusconi-Gegners am Siegesplatz. Dem Medienmann Berlusconi hätte die Fahne nicht ins Bild gepaßt. Hinter seinem Podium hing eine Leinwand im Blau seiner Partei Forza Italia (FI), die ein Berlusconi-Porträt, die Symbole der Parteien des in Rom regierenden Mitte-Rechts-Bündnisses Casa delle Libertà und einen herzlichen Dank für den "historischen Sieg" enthält.

Neben etwa 5.000 Berlusconi-Anhängern und vielen Polizisten finden sich auch Gegendemonstranten ein. Vom äußeren Erscheinen her sind viele der linksalternativen Szene zuzuordnen: Rastalocken, Birkenstocksandalen, "Pace"-Regenbogenfahnen, die schon gegen den Irak-Krieg geschwenkt wurden, Gesichts-Piercings und knallrote Haare bilden einen deutlichen Kontrast zum bürgerlichen Berlusconi-Block.

Das Protestsortiment war nicht unoriginell: Berlusconi, dem der Fußballklub AC Mailand gehört, werden Fahnen gegnerischer Vereine wie FC Liverpool und Inter Mailand entgegengeschwenkt, man hörte Rufe wie pagliaccio (Kasperl), buffone (Witzfigur) oder in galera (ins Gefängnis) - in Anspielung auf Berlusconis Probleme mit der Justiz. Ironisch brüllten die Protestler in Richtung des Premiers: Santo subito! ("Sprecht ihn sofort heilig!").

Gegendemonstranten störten die "Siegesfeier" in Bozen

Angesichts dieses Humors gibt Berlusconi eine Anekdote zum besten: "Meine Mutter fragte mich vor kurzem: 'Eine Person hat dir den Mittelfinger gezeigt. Was bedeutet das?' Ich antwortete: Daß ich die Nummer eins bin!" erklärte der FI-Chef seinen Anhängern und reckte seinen Mittelfinger in die Richtung der Gegendemonstranten, die die "Siegesfeier" in Bozen störten.

Sofort bereute Berlusconi jedoch seine Geste und erklärte: "Jetzt wird man behaupten, daß ich vulgär bin." In dem Moment, als Berlusconi den "Stinkefinger" zeigt, legt er gerade seinen Arm um die Schulter der 34jährigen blondierten Michaela Biancofiore. Die FI-Landtagsabgeordnete findet die Geste ihres Chefs lustig und kichert eifrig mit.

Am sogenannten Siegesplatz in Bozen feierten nämlich die italienischen Mitte-Rechts-Parteien die Wahl ihres Kandidaten Giovanni Ivan Benussi zum neuen Bozner Bürgermeister. Berlusconi, der momentan außer der Wahl seines Leibarztes Umberto Scapagnini zum Bürgermeister des sizilianischen Catania kaum politische Erfolge vorweisen kann, widerstand nicht der Versuchung, Benussis Sieg in Bozen auch auf seine Person zurückzuführen. Mit seinem Auftritt verärgerte Berlusconi jedoch die Deutschen in Südtirol und verkomplizierte die politische Lage in Bozen.

In Südtirol, das nach dem Ersten Weltkrieg nördlichste Provinz Italiens wurde, fanden Ende Mai Kommunalwahlen statt. Seit 1972 verfügt Südtirol über ein hohes Maß an Selbstverwaltung. Die deutsche Volksgruppe macht etwa drei Viertel der Bevölkerung aus und besetzt daher fast alle Schlüsselstellen in Südtirol. Die SVP versteht sich dabei als Sammelpartei der Deutschen.

Ganz anders ist die Lage in der Landeshauptstadt Bozen. Hier stellen die Deutschen nur 18 Prozent der Einwohner - Bürgermeister sowie die Mehrheit der Gemeinderäte sind Italiener. Bis zu den Wahlen Ende Mai regierte eine Koalition aus autonomiefreundlicheren italienischen Linksparteien und der SVP die Stadt. Diese Koalition hatte Bozen gut verwaltet, in den jährlichen Umfragen über die Lebensqualität erringt Bozen regelmäßig gute Wertungen.

Eigentlich hätte dieses Bündnis auch die Bürgermeisterwahl gewinnen müssen, aber die jüngste Geschichte um den Siegesplatz verhinderte dies. Der Siegesplatz, auf dem diese Wahlfeier stattfand, war in der letzten Legislatur der größte Zankapfel in der Bozner Gemeindepolitik. Er hatte zwischen den Volksgruppen und zwischen Rechts und Links großen Streit entfacht.

Für die deutschen Südtiroler stellen der Siegesplatz und das dortige Siegesdenkmal eine Provokation dar, denn es zeugt vom Anschluß an Italien. Der Platz mit dem 19 Meter breiten, vom Architekten Marcello Piacentini entworfenen Triumphbogen wurde auf Anordnung von Ministerpräsident Benito Mussolini erbaut und am 12. Juli 1928 durch König Vittorio Emanuele III. eingeweiht. Den Deutschen in Südtirol gilt er als Symbol der Unterdrückung und der Zwangsitalienisierung, die der Duce hier anordnete. Die lateinische Inschrift auf diesem - den italienischen "Märtyrern des Ersten Weltkrieges" gewidmeten - Bauwerk ist anmaßend: Hic patriae fine siste signa. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus ("Hier an der Grenze des Vaterlandes, setzt das Zeichen. Von hier lehrten wir die übrigen Sprache, Gesetz und Kunst").

Nirgendwo in Südtirol kam es öfter zu Demonstrationen, Fackelumzügen oder gar zum Hungerstreik. Die italienische Rechte pochte stets auf den Erhalt des Siegesdenkmals, während die Deutschen, vor allem der Südtiroler Schützenbund, den Abriß des "Faschistentempels" forderte. Nach jahrelangen Verhandlungen erreichte die SVP zusammen mit dem italienischen Mitte-Links-Bündnis in Bozen im Februar 2005 die Anbringung von Tafeln, die das Bauwerk an der Talferbrücke gegenüber der Altstadt als Relikt des Faschismus einstufen.

Mussolinis Siegesdenkmal als dauernder Stein des Anstoßes

Wer an diesem Denkmal vorbeispaziert, sieht einen eisernen Zaun und an jeder Ecke zwei Videokameras. Diese hermetische Bewachung führt aber dazu, daß mittlerweile Unkraut ungestört zwischen den Stufen in die Höhe wächst und offensichtlich auch bei hohem Besuch nicht entfernt wird. Hinter dem Siegesdenkmal liegt der Siegesplatz, der werktags Parkplatz und samstags Marktplatz und in diesen Momenten ein Platz wie jeder andere ist. Politische Veranstaltungen bekommen auf diesem Platz aber eine ganz besondere Note.

2001 schlug der damalige linke Bürgermeister Giovanni Salghetti Drioli die Umbenennung des Siegesplatzes in Friedensplatz vor. So sollte das friedliche Zusammenleben der Volksgruppen in Bozen gefördert werden. Die SVP unterstützte die Umbenennung, die italienischen Mitte-Rechts-Parteien lehnten den Vorschlag entschieden ab. Sie sahen ein unverzichtbares Symbol der italianità, des italienischen Selbstverständnisses in Südtirol, bedroht.

Der damalige FI-Minister und heutige EU-Kommissar Franco Frattini teilte diese Haltung und forderte eine Volksabstimmung. Nach der erfolgten Umbenennung begannen die Gegner Unterschriften zu sammeln, um so die Entscheidung rückgängig zu machen. Vizepremier Gianfranco Fini, der sich kurz zuvor in Israel für die Vergehen des italienischen Faschismus entschuldigt hatte, verteidigte nun in Bozen den Siegesplatz. Für den Chef der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) war die Umbenennung in Friedensplatz "uneuropäisch", zumal sie gegen die Italiener in Südtirol gerichtet sei.

Im Laufe des Wahlkampfs um die Umbenennung heizten die italienischen Parteien die Stimmung weiter an. In einem Flugblatt erklärten sie, daß die Deutschen in Bozen nach Umbenennung des Siegesplatzes weitere Straßennamen ändern würden: "Deine Straße wird die nächste sein!" Bei der Abstimmung sprachen sich am 6. Oktober 2002 dann 61,94 Prozent der Wähler für die Rückbenennung in Siegesplatz aus (JF 41/02). Dabei zeichnete sich eine Bruchlinie entlang der Volksgruppen ab. In den italienischen Stadtvierteln gewannen die Befürworter des Siegesplatzes, in den deutschen Stadtvierteln die des Friedensplatzes.

Zurück zum Grund für das Erscheinen von Berlusconi: am 8. Mai fand der erste Durchgang statt und die italienischen Mitte-Links-Parteien erreichten gemeinsam mit der SVP 29 von 50 Gemeinderäten. Weil aber keiner der Bürgermeisterkandidaten die absolute Mehrheit erreichte, fand 14 Tage später die Stichwahl zwischen dem bisherigen Bürgermeister Salghetti Drioli und dem Mitte-Rechts-Kandidaten Benussi statt.

Am nächsten Tag um sieben Uhr morgens begann die Auszählung der Stimmen in den 80 Bozner Wahlsektionen. Es kam zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen beiden, und wiederum zeigte sich eine deutliche ethnische Spaltung. Benussi erzielte in den Stadtvierteln mit vorwiegend italienischer Bevölkerung gute Ergebnisse, Salghetti Drioli bekam in den Vierteln mit hohem deutschen Anteil in manchen Wahlsektionen über 80 Prozent der Stimmen.

In einer Wahlsektion passierte aber ein Fehler. Weil beide Kandidaten den Vornamen "Giovanni" tragen, verwechselte der Präsident dieser Wahlsektion die Ergebnisse und gab sie vertauscht an das Hauptwahlamt weiter. Für kurze Zeit schien es, als ob Salghetti Drioli mit 140 Stimmen Vorsprung wiedergewählt worden wäre. Aus Wut über den vermeintlichen Sieg Salghetti Driolis machte Donato Seppi (ein Verbündeter Benussis und Abgeordneter der deutschfeindlichen Partei Unitalia/ Movimento Iniziativa Sociale), seinem Ärger Luft: Im Rathaus gab er den 140 Zigeunern, die in Bozen wohnen, die Schuld am Sieg Salghetti Driolis und verhöhnte diesen als Zigeunerkönig.

Einige Minuten später wurde der Eingabefehler behoben, und Benussi stand als Wahlsieger mit nur sieben Stimmen Vorsprung fest. Donato Seppis Laune verbesserte sich umgehend. Seine Zigeuner-Polemik relativierte er jetzt umgehend gegenüber den anwesenden Journalisten. Die Vertreter der Presse ließen es sich jedoch nicht nehmen, diese Episode zu veröffentlichen.

Die SVP lehnt grundsätzlich ein Bündnis mit autonomiefeindlichen Parteien wie der AN oder der extremen Unitalia ab. Mit Berlusconis FI kann sich die SVP hingegen eine Koalition vorstellen - wäre da nicht Michaela Biancofiore, die FI-Koordinatorin in Südtirol. Die in Bozen geborene Juristin und frühere Beraterin des italienischen Innenministers Frattini fällt immer wieder mit deutschfeindlichen Äußerungen auf. Sie fordert eine gezielte Ansiedelung von Italienern in Südtirol und wünscht sich die italienische Trikolore in jeder Südtiroler Bauernstube. Solche Forderungen kommen klarerweise bei den deutschen Südtirolern gar nicht gut an. Auch dieses Mal war es Biancofiores Idee, den Wahlsieg der Mitte-Rechts-Parteien auf dem Siegesplatz neben dem Denkmal zu feiern.

Schlappe für Bündnis aus SVP und italienischer Linken

Die Siegesfeier der rechten Italiener ausgerechnet auf dem Siegesdenkmal und Berlusconis Stinkefinger haben das Mißtrauen der Deutschbozner gegenüber den Rechtsparteien verstärkt. Stellvertretend für sie war die Reaktion des nun abgewählten Vizebürgermeisters Elmar Pichler Rolle. Sein erster Auftritt zeigte einen schwer getroffenen SVP-Chef, für den eine Welt zusammengebrochen war. Eine Lösung für eine stabile Gemeinderegierung konnte er sich nicht vorstellen.

In der Zwischenzeit ist in Bozen wieder Ruhe eingekehrt. Das Siegesdenkmal wird weiterhin streng bewacht - sowohl vor Attentätern als auch vor Gärtnern, die sich um das Unkraut kümmern könnten. Der Siegesplatz wird von den Boznern wieder als gebührenpflichtiger Parkplatz genutzt. Seit sich das politische Handeln wieder ins Rathaus und in die jeweiligen Parteizentralen verlagert hat, scheint sich eine Lösung für die Bozner Gemeindekrise anzubahnen.

Erst vor kurzem hat Bürgermeister Benussi der SVP und den Mitte-Links-Parteien die Mehrheit in der Gemeinderegierung angeboten. Ob dieses Angebot angenommen wird, ist noch nicht sicher. Sicher ist aber, daß in Bozen der Stinkefinger von Berlusconi kein Thema mehr ist. Nur Premier Berlusconi wird von seiner Geste weiter verfolgt: Enzo Biagi, eine Koryphäe des italienischen Journalismus, veröffentlichte aus diesem Anlaß einen Kommentar in der bürgerlichen Zeitung Corriere della Sera. Darin wirft er Berlusconi vor, keine Politik, sondern nur Unterhaltung zu betreiben. Auch zweifelt er dessen Fähigkeit an, Italien in der Welt ehrenvoll zu vertreten. An die Leser stellt er die Frage, ob sie sich eine derartige Geste von einem anderen italienischen Staatsmann vorstellen könnten.

Die Südtiroler und vor allem die Bozner scheren sich kaum darum. Sie sind froh, wenn sich solch hohe Besuche auf wenige Stunden begrenzen. Viel interessanter ist im Augenblick die Frage, ob Bozen eine Gemeinderegierung bekommt oder ob die Bürger erneut an die Urnen gerufen werden. Aber diese Frage wird in Bozen gelöst - und zwar ganz ohne große Gestik.

Fotos: Premier Berlusconi mit Parteikollegin Biancofiore: "Jetzt wird man behaupten, daß ich vulgär bin", Siegesdenkmal in Bozen: Kein Abriß des "Faschistentempels"

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen