© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Ängste vor einer deutsch-russischen Eiszeit
Außenpolitik II: Unter einer Kanzlerin Merkel droht eine schärfere Rhetorik zwischen Berlin und Moskau / Kontinuität in der Praxis
Wolfgang Seiffert

Der frühere CDU-Chef und außen politische Vordenker Wolfgang Schäuble hat für den Fall eines Siegs seiner Partei bei der Bundestagswahl einen Kurswechsel in der deutschen Politik gegenüber Rußland angekündigt. Die besonderen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin sowie "neue Achsen" hülfen niemandem weiter, zitierte die russische Tageszeitung Wremja letzte Woche den Unionsfraktionsvize in einem Interview.

Nach einem Regierungswechsel würden die Beziehungen anders gestaltet, kündigte Schäuble an. Der angeblich vom Kreml geförderten Achse Moskau-Berlin-Paris aus den Zeiten des Irak-Kriegs erteilte er eine klare Absage. Die Polen bräuchten sich in Zukunft zudem keine Sorgen über ein zu enges deutsch-russisches Verhältnis mehr zu machen.

Auch wenn noch nicht sicher ist, ob es im Herbst Neuwahlen gibt und wie dann das Ergebnis solcher Neuwahlen aussehen wird - über die künftige deutsche Außenpolitik werden trotz Schäubles klarer Aussagen unterschiedliche Prognosen aufgestellt. Das gilt auch für die deutsch-russischen Beziehungen unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Manche befürchten (oder erhoffen?) eine "deutsch-russische Eiszeit". Igor F. Maximytschew, einst Vizebotschafter der UdSSR in der DDR, sieht besonders schwarz, wenn die einstige DDR-Bürgerin Merkel ins Kanzleramt einziehen sollte. Gisbert Mrozek, Chefredakteur der in Moskau herausgegebenen Internetzeitung Rußland-Aktuell.RU ( www.aktuell.ru ), hält es hingegen für möglich, daß die CDU-Chefin nicht den in der Opposition vorformulierten schärferen Kurs in den deutsch-russischen Beziehungen verfolgen, sondern pragmatisch auf den Kurs von Kanzler Gerhard Schröder einschwenken wird.

Propaganda in der Opposition ist praktisch ohne Chance

Auch wenn vieles Spekulation ist, kann man von folgendem ausgehen:

- In der CDU/CSU gibt es sicher starke Kräfte, die eine härtere Gangart im Umgang mit Rußland wollen. Solche Kräfte unterstützten öffentlich die Initiative des US- Senators John McCain, Rußland aus den internationalen Organisationen auszuschließen. Sie unterschrieben - wie etwa Friedbert Pflüger (außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion) - den Brief mehrerer Ex-Politiker und Wissenschaftler an die EU-Regierungschefs, die Beziehungen zu Rußland zu überprüfen. Pflüger wiederholte diese Forderung nach dem Urteil gegen den "Oligarchen" Michail Chodorkowskij. Doch alle solche Stellungnahmen sind reine Propaganda, abgegeben aus der Oppositionsrolle und zudem praktisch ohne jede Chance.

- Daher wäre durchaus denkbar, daß Merkel, die verhinderte Russischlehrerin und einstige FDJ-Sekretärin für Kultur und Propaganda, die Verhältnisse in Rußland und das Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putins gegenüber den Ländern im Baltikum oder der Ukraine rhetorisch schärfer angehen wird als Schröder. Doch daß dies auch für die Praxis gelten und zu einer Kursänderung führen sollte, ist zu bezweifeln. Merkel wird in ihrem neuen Amt angesichts der Finanz- und Wirtschaftslage andere Sorgen haben, als eine Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen heraufzubeschwören. Das gilt vor allem - aber nicht nur - für die Wirtschaftsbeziehungen.

Das einzige, was die Mehrheit der Deutschen in Umfragen an der Schröder-Regierung noch immer gutheißen, ist ihre Außenpolitik. Hier denken sie nicht an die EU, sondern an den Irak und auch an die deutsch-russischen Beziehungen. Zudem wird auch Merkel nicht vergessen, daß unter Kanzler Helmut Kohl Rußland in die G 8 aufgenommen wurde und der "Freundschafts- und Partnerschaftsvertrag" mit Moskau abgeschlossen wurde, der noch immer die völkerrechtliche Grundlage für die deutsch-russischen Beziehungen bildet.

- Vieles wird auch davon abhängen, wer unter Merkel Außenminister wird. Schon allein die Tatsache, daß dies auf keinen Fall wieder der Grüne Fischer sein wird, wird den deutsch-russischen Beziehungen guttun. Denn die positive Entwicklung dieser Beziehungen unter Schröder war sicher nicht auf Fischer zurückzuführen, der für Rußland nie ein gutes Wort gefunden hat.

Kommt es zur absoluten Mehrheit der CDU/CSU im Bundestag, wird der Außenminister und Vizekanzler wohl Edmund Stoiber heißen, ob der CSU-Chef will oder nicht. Stoiber brächte große Aufgeschlossenheit gegenüber Rußland und Putin mit. Bayern hat vielfältige Wirtschaftsbeziehungen mit Rußland, Stoiber wurde zu einem längeren Gespräch von Putin in Moskau empfangen, der Abgesandte Putins, Alexander Kosakow hat die Bayerische Staatskanzlei vor seiner Weiterreise nach Brüssel besucht. Aber auch jeder andere Außenminister wäre für die deutsch-russischen Beziehungen besser als Fischer.

- Schließlich spricht für Kontinuität in den deutsch-russischen Beziehungen bei einem Regierungswechsel in Berlin ein gravierender Umstand - den allerdings wohl weder Merkel noch Stoiber noch ein anderer künftiger Außenminister so ohne weiteres akzeptieren werden: Das ist die aktuelle Situation in der Europäischen Union einerseits und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) andererseits. Während sich die EU mit den Abstimmungsergebnissen zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden in einer tiefen Krise befindet, endete der letzte GUS-Gipfel der GUS in Tiflis (Tblissi) mit 23 Vereinbarungen zur Entwicklung des Gemeinsamen Wirtschaftsraumes - einschließlich der Ukraine und Georgiens. Da scheint Arroganz gegenüber Rußland wohl fehl am Platz.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er verfaßte das Buch "Wladimir W. Putin - Wiedergeburt einer Weltmacht?"

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