© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Herzschmerz
Kino: "Die Frau des Leuchtturmwärters" von P. Loiret
Claus-M. Wolfschlag

Dem französischen Film ist die bewundernswerte Gabe eigen, aus oft belanglosen, trivialen Stoffen cineastische Erzeugnisse zu fertigen, die später als "Kunstfilme" in deutschen Programmkinos gehandelt werden. Liegt das am Savoirvivre der Romanen, das uns Deutschen und unserem Kino so fehlt?

Philippe Loiret hat sich eine Geschichte gewählt, die eigentlich auch einem Roman von Rosamunde Pilcher oder Utta Danella entnommen sein könnte. Der Inhalt besteht aus altbekannten Ingredienzien des Schnulzenkinos: In ein abgelegenes, langweiliges Kaff in wilder Landschaft kommt eines Tages ein unbekannter Reisender mit düsterem Geheimnis, um sich dort für kurze Zeit niederzulassen. Die Männer begegnen dem Fremden mit Mißtrauen und Aggression, die Frauen fühlen sich mysteriös angezogen.

Doch da ist nur eine, die auch sein Augenmerk gefunden hat. Jedoch wäre es zu einfach, wenn die beiden rasch zueinander finden könnten. Nein, übermächtige Ketten aus Moral und Verpflichtungen hindern das vor Sehnsucht brennende Paar, sich in die Arme zu fallen. Wird diese Liebe glücklich oder tragisch enden? Das fragen sich Konsumentinnen derartigen Herzschmerzes und müssen für die Antwort meist bis zum bittersüßen Ende ausharren.

Im vorliegenden Fall reist 1963 der schüchterne Antoine (Gregori Derangère), mit verkrüppelter Hand und freundlichem Lächeln, auf die kleine bretonische Insel Quessant. Die Direktion hat ihn entsandt, um das Team der örtlichen Leuchtturmwärter zu verstärken. Schon bald bekommt Antoine die ablehnende Haltung des männlichen Teils der abgeschotteten Dorfbewohner zu spüren. Doch Provokationen und Anfeindungen begegnet er stets um Konfliktentschärfung bemüht. Sein Kollege wird der brave Leuchtturmwärter Yvon (Philippe Torreton). Dessen Frau Mabé (Sandrine Bonnaire) fühlt sich in ihrer kinderlosen Ehe gefangen. Immer wieder treffen sich Antoines und Mabés Blicke, und die Flamme beginnt zu lodern.

Daß dieser biedere Stoff dennoch recht ansehnlich geraten ist, liegt am Charme des französischen Kinos. Passend besetzte und überzeugend agierende Schauspieler bewegen sich in einer zauberhaft urtümlichen bretonischen Landschaft, und das stürmische Wetter scheint die Entladungen in den Herzen der Menschen zu symbolisieren. Die Inszenierung wirkt nie hölzern und künstlich um Emotion bemüht, wie so oft im deutschen Kino. Sandrine Bonnaire versteht es einmal mehr, ihrer Figur eine edle Noblesse zu verleihen, der man das Ringen wider das eigene Gewissen jederzeit abnimmt.

Zugleich ist der Film eine Hommage an den Stand der heroischen Leuchtturmwärter. Der Leuchtturm von Kéréon, der als Kulisse des Geschehens dient, steht mitten im Meer. Es war der letzte von Leuchtturmwärtern beaufsichtigte Turm. Erst vor kurzer Zeit wurde er automatisiert. In früheren Zeiten waren die Wärter manchmal sechzig Tage lang eingeschlossen, da die stürmische See keinen Schichtwechsel zuließ.

Gedreht wurde an Originalschauplätzen. Nur für die Innenszenen des Leuchtturms wurden drei Etagen als Studio-Modell gebaut, inklusive echter Lampe, die kilometerweit strahlen konnte. Riesige Wasserwerfer schossen tonnenweise Wasser gegen das Modell, während innen gedreht wurde. Der Aufwand lohnte die Mühe, so daß ein kleiner, ruhiger Augenschmaus herauskam, der seinen Figuren gegenüber stets ehrlich bleibt.

Foto: Yvon (P. Torreton), Antoine (G. Derangère): Biederer Stoff

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