© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Von der Jugend direkt zur Rente
Zeugungsstreik: Meike Dinklage fragt, warum Männer keine Väter mehr sein wollen
Ellen Kositza

Elternschaft sei gesellschaftlich wenig anerkannt, heißt es. Die Deutschen seien ein geradezu kinderfeindliches Volk geworden. Eines der am häufigsten bemühten Beispiele zur Stützung dieser These ist die Aussage, daß heute ein Mensch oder Paar mit Dobermann eher einen Vermieter finde als eine Familie mit zwei Kindern.

Dieser Klagerede steht eine andere diametral gegenüber: Gerade kinderlose Frauen ab etwa Dreißig sehen sich sowohl innerfamiliär - der berüchtigte Enkelwunsch - als auch vom bereits kindergesegneten Freundeskreis und durch die seit längerem beliebte Medienschelte über die grassierende Gebärverweigerung unter Reproduktionsdruck gesetzt.

Wer je mit einer Handvoll kleiner Kinder ein Café oder ein Zugabteil betreten, ein Fest oder ein Konzert besucht hat, dessen Auge schult sich schnell für die Decodierung der Blicke, mit denen die familiäre Schar bedacht wird. Ignoriert wird ein solch vitales Aufgebot selten. Der Anteil derer, die den Mund spitzen, Augenbrauen hochziehen und mit der einen Hand einen Tunnel zum Nachbarohr formen, mit der anderen verschämt deuten, hält sich stets in etwa die Waage mit denjenigen, deren Gesichter sich erstaunt aufhellen und die - auch unbekannterweise -freundlich nicken.

Freilich bestehen hier Unterschiede im Generellen: Die Supermarktkassiererin oder die ABM-Kraft, die an der Straße Unkraut rupft, wird eher mißbilligend und habituell die Stirn runzeln, während der Konzert- oder Gottesdienstbesucher - vor allem nach einer ungestörten Stunde - sich häufig eines anerkennenden Wortes nicht enthält.

Der Kinderwunsch, vor allem der erfüllte, spaltet die Gemeinschaft. Mit einigem Recht geht hier und dort bereits die Rede von drohenden "Parallelgesellschaften". Die in jeder Hinsicht bemerkenswerte Internetplattform single-generation.de, die diese sozialpsychologisch zu ergründende Kluft zu ihrem Hauptthema gemacht hat, weiß es längst: Es ist Fehdezeit zwischen kinderlosen Erwachsenen und Familien.

Tatsächlich ist ja der Ruf nach mehr Kindern - unbesehen der vergleichsweise unterprivilegierten Situation von Familien - allgegenwärtig. Gerade die zuverlässig verhütende Karrierefrau, die zu der Summe jener knapp 40 Prozent kinderlosen Akademikerinnen beiträgt, sieht sich heute im Fokus der soziologischen, feuilletonistischen und nicht zuletzt politischen Interessen.

Als die 39jährige (und kinderlose) Brigitte-Redakteurin Meike Dinklage ihr aufschlußreiches Buch "Der Zeugungsstreik" schrieb, kannte sie noch nicht die Daten, die jüngst das dem Statistischen Bundesamt untergliederte Institut für Bevölkerungsforschung veröffentlichte: Während nur wenige Frauen Kinder grundsätzlich aus ihrer Lebensplanung streichen, favorisieren 27 Prozent der jungen westdeutschen Männer - im Osten der Republik sind es weniger - ein kinderloses Leben.

Heute, so beschreibt Dinklage die Sachlage auch aus eigener Erfahrung, "fragen die Menschen sich bei einer kinderlosen Frau, was da wohl los ist. Sie wollen meine Gründe hören, ich soll mich rechtfertigen. Manche fragen freundlich, andere intervenierend, wieder andere werden missionarisch. Sie fragen mich. Sie fragen nicht meinen Mann. (...) Kinderlosigkeit ist bei Frauen nur als Entbehrungstragödie akzeptiert, also nur, wenn sie unfreiwillig ist, biologisch bedingt und somit nicht aktiv entschieden." Dabei, führt die Autorin an, waren 2002 unter den ab-Vierzigjährigen rund 26 Prozent der Männer kinderlos - gegenüber 20 Prozent der Frauen.

Während Frauen monatlich mit ihrer Fruchtbarkeit konfrontiert werden (Dinklage: "Es gibt keine Frau, die sich die Frage nach einem Kind niemals stellt"), ist Vaterschaft eine sozial vermittelte Identität, und gerade die steht zur Debatte. Die Reporterin porträtiert in zwölf Aufsätzen kinderlose Männer, Paare und Frauen, alle um die vierzig Jahre herum, in einem Alter also, wo zumindest für die Frauen der Vorhang des Fortpflanzungstheaters langsam fällt. Einige haben die Entscheidung für Nachwuchs lange hinausgezögert - nun will er sich nicht einstellen. Nachdrücklich und bewegend wird hier die Tortur von erfolglosen Hormontherapien, Inseminationen und Frühaborten nachvollzogen. Es ist ein existentielles Leid, das solche Paare - vor allem die Frauen - zu bewältigen haben.

Mit Tragödien ist auch das Leben jener Männer belastet, die keine Sekunde ihres Lebens daran zweifelten, daß sie niemals Vater werden wollen, solche, die sich, kaum geschlechtsreif geworden, sterilisieren ließen oder auf Abtreibungen drängten: Hier haben Frauen, die aus Liebe in ein Leben ohne Kinder einwilligten, das Nachsehen.

Am größten ist in der Gruppe kinderloser Männer wohl die Kategorie der "Ausbremser" des weiblichen Kinderwunsches. Dem wankelmütigen "Vielleicht" steht hierbei ein großes "Aber" zur Seite, es sind jene Bedenkenträger, die neben dem Aufgeben individueller Freiheiten auch die Rolle des "neuen Mannes" fürchten, von dem via partnerschaftlich geteilter Erziehungsarbeit vermehrt auch originär mütterliche Qualitäten eingefordert werden.

Die Hälfte der Betreuungsarbeit, darüber wolle er nachdenken, äußert einer dieser Männer im Zeugungsstreik, die Geliebte aber habe "mindestens 80 Prozent" gefordert.

Dann ist in Dinklages so einfühlsamen wie punktgenauen Gesprächsaufzeichnungen wieder die Rede von Momenten, in denen bewußt wird, daß man mit dem selbstgewählten Verzicht auf Kinder eine ganze Lebensphase ausläßt: "Wir gehen direkt von der Jugend in das Vorrentner-Dasein", erkennt eine der Betroffenen.

Thematisch ein wenig im Abseits liest sich allein das Gespräch mit Claudia Roth - sie ist wohl mittels Promi-Bonus zwischen die Buchdeckel gelangt -, deren Kinderlosigkeit relativ männerunabhängig begründet ist. Sie wollte einem Kind nie sagen müssen, "wegen dir habe ich die 'Revolution' nur halb gemacht", kokettiert die Grünen-Bundesvorsitzende, berichtet aber auch Erhellendes über die Männer ihrer Generation - über Typen, die "vor lauter Softsein ernsthafte Identitätskrisen" hatten. Solchen Liebhabern mußte Roth "manchmal richtig Mut machen zu handeln", so groß war die Angst, sich doch als "patriarchal" zu erweisen.

Seit es die Pille gibt, schreibt Dinklage, zwingt kein biologisches Gesetz Männer mehr in die Vaterschaft. Und dennoch - oder: deshalb - stellt sie nach der Vielzahl ihrer Gespräche und Interviews fest: "Es gibt bei vielen Männern eine Sehnsucht nach dem Schicksal, das die Kinderfrage regeln möge, um sie selbst von der aktiven Entscheidung zu entbinden."

Meike Dinklage: Der Zeugungsstreik. Warum die Kinderfrage Männersache ist. Diana Verlag, München 2005, gebunden, 250 Seiten, 17,90 Euro

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