© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Mehr als der Feind des Feindes
Zwei Bücher untersuchen das Verhältnis der arabischen Welt zum Nationalsozialismus
Hans B. von Sothen

Der Islam ist spätestens seit dem 11. September 2001 ein Thema, das in den Sachbuchabteilungen Hochkonjunktur hat, das in der Politik ebenso Gesprächstoff bietet wie in den Feuilletons. Ein Gebiet ist dabei dennoch weitgehend randständig geblieben: das Verhältnis zwischen Islam und dem Nationalsozialismus.

Dieses Thema ist auch in der arabischen Historiographie ein heikles. Standardwerke wie das (nie ins Deutsche übersetzte) Buch von Lukasz Hirszowicz über das Dritte Reich und den Nahen Osten oder Heinz Tillmanns "Araberpolitik" hat es zwar in den 1960er Jahren gegeben, sie waren jedoch wenig beachtet. Eine Ausnahme bildet seit einigen Jahren das Programm des Berliner Klaus Schwarz Verlags, in dem der kürzlich verstorbene Gerhard Höpp einer der wichtigsten Autoren war.

Dabei gab es eine äußerst intensive Einwirkung der Zeit des Dritten Reichs in die arabisch-islamische Welt. Der im November 2004 verstorbene Jassir Arafat war jedoch am Anfang seiner Karriere nicht nur ein gelehriger Schüler des Mufti von Jerusalem, sondern beanspruchte auch, sein Verwandter zu sein, denn schließlich trug man den gemeinsamen berühmten Namen "el-Husseini". Ein nicht unwichtiger Teil der algerischen Befreiungsorganisation FLN war während des Krieges in der märkischen Heide südlich von Berlin militärisch ausgebildet worden oder trug SS-Uniformen, wie Mohamed Said bzw. Mohamed al-Maadi, auch bekannt unter dem Namen "SS-Mohamed".

In Tunesien stand nicht nur der formelle Souverän Moncef Bey auf seiten der Deutschen, sondern auch Férid Bourguiba, Bruder des späteren langjährigen Präsidenten, sowie zeitweilig Habib Bourguiba selbst, bevor dieser sich entschloß, rechtzeitig wieder ein Loblied auf die französische Herrschaft anzustimmen. Die führenden marokkanischen Befreiungskämpfer Abdel Khalek Torrès und Brahim el-Ouezzani arbeiteten mit der deutschen Abwehr zusammen. Auch Mohamed V., Großvater des heutigen Königs von Marokko, betätigte sich als Zulieferer von Informationen an die deutsche Abwehr. Ein glühender Anhänger der Deutschen war der irakische Ministerpräsident Raschid Ali el-Gailani, der nach einer britischen Militärinvasion 1941 nach Deutschland flüchtete.

In Ägypten befanden sich wichtige Mitglieder der jungen Nationalisten auf seiten der Deutschen. So etwa Ahmed Hussein, Chef der Jugendorgamisation "Junges Ägypten", oder Mustafa el-Wakil, Chef der "Blauhemden" der regierenden Wafd-Partei. Mit der deutschen Abwehr arbeiteten der Chef des äagyptischen Generalstabs, Aziz el-Misri, aber auch die späteren Präsidenten Nasser und Sadat zusammen, und auch der Begründer der Islambruderschaft, der Urzelle des modernen Islamismus, Hassan el-Banna fand Berührungspunkte. Mitten im Krieg ging die ägyptische Jugend verbotenerweise auf die Straßen Kairos und skandierte unter den Augen der Briten: "Wir sind Rommels Soldaten!" In jener Zeit entstand auch die Idee zur Gründung der weltlich-sozialistischen Baath-Partei, die nach dem Krieg eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des arabischen sozialistischen Nationalismus spielte und die historisch nicht reduziert werden darf auf die Rolle, die sie später unter Hafez el-Assad in Syrien oder Saddam Hussein im Irak spielen sollte.

Nur skizzenhaft kann an dieser Stelle der kurze, aber immens intensive und bis heute nachwirkende Einfluß der Zeit des deutschen Nationalsozialismus auf die arabische Welt angedeutet werden. Um so erstaunlicher ist es, daß die Erinnerung an diese äußerst intensive Einwirkung seit einigen Jahren in der Historiographie der Länder des Nahen Ostens mehr und mehr zum Verschwinden gebracht wird. So versuchte eine Historikerschule vor allem in den 1980er und 1990er Jahren im Anschluß an den Orientalisten Stefan Wild den Eindruck zu vermitteln, daß die Zusammenarbeit zwischen den Nationalsozialisten lediglich eine Art Mißverständnis gewesen sei, etwa nach dem Muster: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund", so der Titel einer Arbeit der Historikers Edmond Cao-Van-Hoa.

Nach dieser Auffassung soll es angeblich keinerlei Berührungspunkte zwischen dem Nationalsozialismus und dem arabischen Nationalismus gegeben haben. Diese These war besonders unter bundesdeutschen Historikern einige Zeit recht beliebt, mußte aber aufgegeben werden, weil sie schlicht unhaltbar war, wie sich unter anderem aus den Schriften des Mufti, aber auch anderer arabischer Zeitgenossen ergibt, die während des Dritten Reichs Deutschland bereisten.

Eine neuere historische Schule versucht inzwischen gar, die Araber von einem generellen Kollaborationsverdacht mit den Deutschen reinzuwaschen. In Monographien wird hauptsächlich der bürgerliche Widerstand gegen die Idee des Nationalsozialismus, etwa in Ägypten oder im Libanon thematisiert, die breite Sympathiebewegung mit den Deutschen dagegen als ein "überholtes Narrativ" bezeichnet.

Hauptexponenten dieser Forschungsrichtung sind zur Zeit der Historiker Israel Gershoni von der Universität Tel Aviv und in Deutschland der genannte Gerhard Höpp. Sowohl in dem von ihm als auch in dem von Wolfgang Schwanitz herausgegebenen Sammelband finden sich durchgängig Versuche, diese These mit Belegen zu unterfüttern. Das ist im Prinzip nicht falsch, da es zu Recht die gängige Ansicht etwas geraderückt, als seien in der Zeit des Dritten Reichs alle Araber glühende Anhänger des Nationalsozialismus gewesen. Doch insbesondere der Höppsche Band schießt eindeutig übers Ziel hinaus. Es fallen dort in der Regel nicht nur sämtliche der oben genannten Namen und Tatbestände unter den Tisch, sondern der Widerstand der Araber wird insbesondere bei Höpp als einzige Dominante hingestellt. Ein "Narrativ" soll hier offensichtlich einfach durch ein anderes ersetzt werden, und das tut der Historiographie selten gut.

Und obwohl der von Schwanitz herausgegebene Band natürlich thematisch weit über den Höpps hinausgeht, handelt er auch von der NS-Zeit. Empfehlenswert ist etwa der Artikel über einen der wichtigsten Verbindungsmänner des Dritten Reichs zur arabischen Welt, Fritz Grobba. Schließlich wird auch hier versucht, das Thema der Konzentrationslager in die arabische Geschichte einzubauen (einige wenige Araber, in der Regel in französischen Diensten stehende Maghrebiner, waren Insassen der Lager; sie waren aus politischen, nicht aus rassischen Gründen dort), was allerdings kaum zu einer breiteren Revision des bestehenden arabischen Geschichtsbildes führen dürfte.

Ein Grund für diese Form der Geschichtsschreibung dürfte sicher in dem Wunsch liegen, westliche Werte und die westliche Wertegemeinschaft als ein gemeinsames "Narrativ" und als in die Vergangenheit zurückspiegelndes Identifikationsmodell für das Modell des westlichen Freiheitsbegriffs im Nahen Osten festzulegen und als eine Form neuen kulturellen Gedächtnisses einzupflanzen. Doch Geschichte und Historiographie sind ein Thema, das historische Gedächtnis und die Identitätsbildung der Araber ein anderes. Einer "Reinigung" der Geschichte des arabischen Nationalismus von dem Makel der Zusammenarbeit mit den als "antikolonialistisch" empfundenen Deutschen, von denen die Araber voraussetzten, daß sie in der Region keine eigensüchtigen kolonialen Interessen verfolgten, zugunsten einer neuen Sinndeutung, wird in ihrer Absolutheit sicher keine Zukunft beschieden sein.

Foto: Ali el Galiani neben dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini (mit weißer Kappe), vor der irakischen Botschaft in Berlin, Mai 1943: Vom NS-Kollaborationsverdacht reinwaschen

Gerhard Höpp, Peter Wien und René Wildangel (Hrsg.): Blind für die Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2004, 381 Seiten, broschiert, 26 Euro

Wolfgang G. Schwanitz (Hrsg.): Germany and the Middle East, 1871-1945. Markus Wiener Publishers, Princeton 2004, 200 Seiten, broschiert, 25,50 Euro

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