© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Allergisch gegen Eliten
Bildungspolitik: Warum Studiengebühren nicht nur notwendig, sondern auch gerecht sind
Ellen Kositza

Wer zur Nachmittagszeit den Deutschlandfunk einschaltet, möge sich von flotter Popmusik und jungfrischer Moderatorenstimme nicht täuschen lassen. Im studentischen Format "Campus & Karriere" weht mitnichten eine frische Brise - hier wird gejammert, "nicht hingenommen" (Studiengebühren, Abbau von studentischen Privilegien), "zur Rede gestellt" (Bildungspolitiker und Hochschulrektoren) und nölend eingefordert. Erst recht, seitdem im vergangenen Januar das Bundesverfassungsgericht das bis dahin geltende Verbot von Studiengebühren für nichtig erklärte, ist die Klage groß. Zumindest Hamburg und Niedersachsen wollen bereits ab Herbst 2006 ernst machen und pro Semester einen Beitrag von 500 Euro erheben. Die Dynamik der Studentenbewegung der Väter ist lange perdu, heute werden Pfründen verteidigt unter dem Banner des "Menschenrechts auf Bildung", welches man durch die drohende - wenngleich international längst und in unvergleichlichem Ausmaß gehandhabte - Erhebung von Studiengebühren gefährdet sieht.

Die organisierte Studentenschaft stellt sich dabei als eine hervorragende unter jenen Binnengesellschaften dar, die Vater Staat - als Nation wie auch überhaupt als normative Größe - habituell ablehnend gegenüberstehen, gleichzeitig aber lauthals dessen Fürsorge einklagen. Der deutsche Student lebt nicht schlecht - bei Bedürftigkeit kassiert er Bafög und Wohngeld. Ob Schwimmbad, Oper, Zoo, öffentliche Verkehrsmittel oder Leihbücherei: Die Familie mit Kindern zahlt locker das Sechsfache, der einfache Tischlerlehrling zumindest das Doppelte jenes Besuchers, der an der Kasse seinen Studentenausweis vorlegt.

Analoges gilt etwa für Krankenkassenbeiträge, auch hier zahlt die alleinerziehende Mutter oder die Hausfrau mit selbständigem Gatten - der vielleicht statt im Big Business als bescheidene Ich-AG schuftet - das Doppelte des eher symbolisch zu nennenden studentischen Beitrags. Überdeutlich wird die Ungerechtigkeit des derzeitigen Verzichts auf Studiengebühren, setzt man Kindergartenbeiträge und den empört zurückgewiesenen Studentenbeitrag ins Verhältnis: Eine Kita, die für unter 500 Euro halbjährlich einen auch nur vierstündigen Platz anbietet, dürfte deutschlandweit schwer zu finden sein. Dabei dürfte ein Kindergartenaufenthalt weniger als ein Studienplatz zu einer hervorgehobenen Ausbildung mit nachfolgend geldwertem privilegiertem Status zu rechnen sein.

Daß heute der einfache Arbeiter über Steuern dem studierenden Notarssohn die teure Ausbildung finanziert, ist unsozial - nicht der zur Debatte stehende Kostenbeitrag, den der Nutznießer des universitären Betriebs beisteuern soll. Zur Erinnerung: Die nun anvisierte Gebühr wird per Kredit vorgestreckt, sie ist erst bei entsprechend hohem Verdienst zurückzuzahlen, also unter Umständen Jahrzehnte später - oder gar nicht, bei ausbleibendem beruflichem Erfolg oder Übergang in die Mutterschaft. Hochbegabtenstipendien können einen von der Zahllast gänzlich befreien. Dichter gestrickt kann ein soziales Auffangnetz nicht sein.

Den eigentlichen Knackpunkt stellt jedoch nicht die im Raum stehende 500 Euro-Forderung dar - und, mal ehrlich: wie hoch belaufen sich wohl die Kosten der Konzertbesuche, Kneipengänge, CD-Käufe des durchschnittlichen Studenten, um den es hier geht, pro Semester? -, sondern eine ganz grundsätzliche Frage: die nach einer hierzulande beinahe traditionell verpönten Elitenförderung, nach einer insgesamt begabungsgerechten Ausbildung. Wo 1960 sechs Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife erlangten, sind es heute knapp dreißig Prozent. Das führt nicht nur dazu, daß heute Absolventen mit der formal gleichen Qualifikation einen signifikant niedrigeren Intelligenzquotienten aufweisen als noch vor vier Jahrzehnten, es läßt darüber hinaus Stellen in Handwerk und Dienstleistung vakant bleiben, die durch Arbeitskräfte aus dem Ausland gefüllt werden. Egalitätstrunkenen Kreisen aus Wirtschaft und Politik schwebt eine zu erreichende 40-Prozent-Quote an Studenten pro Jahrgang vor.

Selbstverständlich entspricht der Anstieg der Studienanfänger bei weitem nicht der Zahl der Absolventen. Legion ist - neben den Abbrechern und Wechslern - die Zahl derer, die sich aufgrund eines grandios verbilligten "Studitickets" als ÖPNV-Ausweis den Status eines Immatrikulierten erhalten und dabei ein erkleckliches, weil sozialbeitragsfreies Auskommen aus diversen großstädtischen Jobs aufweisen.

Das gern bemühte Stereotyp der armen Bauerntochter, der aufgrund ihrer sozialen Herkunft und trotz hoher Begabung der universitäre Zugang verwehrt bleibt, ist ein hinfälliges. Längst haben sich qua emanzipatorischen Bildungsideals der 68er mit ihrem Ruf nach Durchlässigkeit der Bildungswege und egalitärer Chancengleichheit die Universitäten sämtlichen Schichten geöffnet - zugunsten der Massenuni, bestenfalls eines heute neoliberal-funktionalen Bildungsverständnisses, das sich an kurzfristigen Erfordernissen des Marktes orientiert, zu Lasten jedenfalls der Elitenbildung.

Die Massenuni der Gegenwart arbeitet als hochsubventionierter und dysfunktionaler Betrieb, der zwei Millionen Studenten beherbergt, von denen ein Großteil als Akademiker nicht gebraucht wird, während Handwerk und Mittelstand händeringend nach geeigneten Bewerbern suchen, die wenigstens eine passable Rechtschreibung vorzuweisen haben. Die längst staatlich verbriefte Allergie gegen Leistungseliten hat dazu geführt, den Orten der wissenschaftlichen Lehre eine selbstbestimmte Auswahl der befähigsten Aspiranten zu versagen - der notwendige Prozeß der Auslese wird, wenn überhaupt, nur vage durchgeführt.

Volkmar Weiß, Humangenetiker, Intelligenzforscher und versierter Kritiker des deutschen Bildungssystems, spricht von einer "Bildungsspirale, die den Keim zur Selbstzerstörung in sich trägt". Während der Wechsel deutscher Studenten auf internationale - und kostenpflichtige - Hochschulen Konjunktur hat, zieht es von Jahr zu Jahr weniger ausländische Studierende nach Deutschland. Diese braindrain genannte Abwanderung akademischer Eliten hat ein Vorbild nicht nur in der Flucht geistiger Kapazitäten vor der NS-Regierung, sondern auch in der DDR-Hochschulpolitik, die mit ihrer gezielten Bevorzugung systemloyaler Arbeiter- und Bauernsprößlinge und einer ideologischen wie qualitativen Nivellierung des Universitätsbetriebs in den späten vierziger und fünfziger Jahren Hunderttausende Akademiker über die Grenze nach Westen trieb.

Heute vermengen sich gleichmacherisches "Bildung für alle"-Denken und neoliberal-kapitalistische Definition der Bildung als Handelsware in unseliger Weise. Die Erhebung von Studiengebühren - die wenigstens das studentische Arbeitsethos befördern dürfte - bei gleichzeitiger Begabtenauslese und -förderung könnte dem einen minimalen Einhalt gebieten.

Foto: Schüler und Studenten in Potsdam protestieren am 2. Juni gegen die geplante Einführung von Studiengebühren: Pfründenverteidigung


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