© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

CD: Pop
Unvergänglich
Holger Stürenburg

Als im Sommer 1982 die Neue Deutsche Welle die hiesige Musikwelt in Atem hielt, war einer ganz vorne mit dabei: Der gerade 21jährige gebürtige Reutlinger Hubert Kemmler, besser bekannt als Hubert Kah, sorgte mit schlagerhaften Popsongs auf Synthibasis, eingebettet in eine schrille Fantasy-Show, für eine Handvoll Hits im neuen Stil, die sogar den kurzen, aber heftigen NDW-Hype überlebten. Bereits mit seiner ersten Single "Rosemarie", die Anfang 1982 auf den Markt kam, erwuchs der meist zusammen mit zwei clownesk geschminkten Begleitern - selbst in ein wallendes weißes Nachthemd gehüllt - auftretende Multiinstrumentalist über Nacht zum schillernden NDW-Star. Entsprechend erfolgreich waren die beiden LPs "Meine Höhepunkte mit Rosemarie" und "Ich komme".

Nachdem das NDW-Phänomen den Bach runtergegangen war und viele seiner Protagonisten mitgerissen hatte, verlegte Hubert Kah sich auf englische Texte und veröffentlichte die LPs "Ten Songs" (1986) und "Sound of my Heart" (1989), bevor er sich endgültig von der Bühne verabschiedete und fortan fast ausschließlich als Komponist für andere Künstler arbeitete. Ein 1996 schlicht "Hubert Kah" betiteltes CD-Comeback geriet zum kommerziellen Flop.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends kehrte Hubert Kah für einige NDW-Festivals auf die Bühne zurück, hatte aber zunächst keine neuen Songs im Gepäck. Dies änderte sich erst, als vor einigen Monaten verschiedene Radiostationen die Promosingle "No Rain" ihren Hörern vorstellten. Am 30. Mai erschien nun nicht nur die mit leichten Trip-Hop-Beats unterlegte, verträumt-romantische Popballade "No Rain" als Maxi-CD, sondern zugleich das Album "Seelentaucher" (DA Music), das auf nahezu sämtliche Musikstile zurückblickt, mit denen Hubert Kah im Laufe seiner Karriere experimentierte. Vierzehn überaus unterschiedliche Lieder, mal auf deutsch, mal auf englisch, mal durchweg elektronisch, mal fast unplugged eingespielt, zeigen Kahs stilistische Bandbreite.

Von der mit nervtötendem Tekknobeats verunstalteten Dancenummer "Psycho Radio" abgesehen, ist es Hubert Kah mehr als 20 Jahre nach seinen musikalischen Anfängen gelungen, das Gestern mit dem Heute kongenial zu verbinden. So besticht der zusammen mit der NDW-Coverband Knutschfleck im Duett mit deren Sängerin Julia neu aufgenommene 84er-Klassiker "Wenn der Mond die Sonne berührt" durch ein ungewohnt balladeskes Akustikarrangement à la "More than Words" von Extreme, während neue Lieder wie die nur zu einem einsamen Piano vorgetragene Liebeserklärung "Ich bleib bei Dir", der an die späten Stranglers gemahnende Psycho-Walzer "Die Erinnerung" oder die dunkle Rockballade "Yolanda", mehr mit düster-romantischem Gothic Rock gemein haben denn mit vergänglichen Popklängen fürs Formatradio. Aufbrausende Gitarrenorgien ("Raketen") wechseln sich ab mit schnittigen Pop-Perlen und deftigen Wortspielen zu schlanken Arrangements ("Alles klingt"). Beim monumentalen Popchanson "Sekunden" stand musikalisch der britische Gossenpoet Marc Almond Pate; das vertrackte Klangspektakel "Der Fels in der Brandung" ist dagegen von Wolfsheim beeinflußt.

Marcus Löhr, Gitarrist der ersten Stunde, das sonst hauptsächlich Trance- und Chillout-Klänge fabrizierende Produzentenduo Blank & Jones, die Poetik-Pop-Band PurPur oder Huberts Gattin Sabine begleiten einen manchmal etwas selbstverliebten, aber durch und durch ernsthaften Künstler, dem darüber hinaus ironische Momente nicht fremd sind. "Seelentaucher" ist ohne Frage eine der spannendsten und kreativsten Produktionen, die das Popjahr 2005 hierzulande bislang zu Gesicht bekommen hat.


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