© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Nach langer Dürre
Große Klappe war gestern: Inzwischen setzen Oasis auf stimmige Instrumentierung
Michael Insel

Und weil sie nicht gestorben sind, so begab es sich, daß Oasis sich Anfang 2004 für ihr sechstes Album wieder in den Sawmill Studios in Cornwall einfanden, von wo sie exakt zehn Jahre zuvor mit ihrem Debüt "Definitely Maybe" auszogen, den Drachen des muffig-grauen Tory-Englands unter John Major zu erlegen und sich als Heroen des anbrechenden Zeitalters feiern zu lassen: "Cool Britannia" ward geboren, und Noel und Liam Gallagher gaben - jung, laut, rüpelhaft, wie sie waren - die perfekten Galionsfiguren für das neue nationale Selbstbewußtsein ab.

In den turbulenten Folgejahren lieferten sich die Brüder einen unter dem wenig aussagekräftigen Schlagwort "Britpop" von den Medien angezettelten Sängerkrieg mit den Rivalen von Blur - hier die Jungs aus Manchesters Armenhaus Burnage, mit Leib und Seele, Haut und struppigen Haaren Proleten, dort die Sprößlinge der unrühmlichen Mittelklasse um Damon Albarn -, den sie spätestens 1996 mit ihrem zweiten Album "(What's the Story) Morning Glory?" für sich entschieden.

Sie spielten zwei Abende hintereinander im ausverkauften Knebworth Park vor insgesamt 250.000 Zuschauern und sprangen auf den New-Labour-Siegeszug auf, der Frontmann Noel Gallagher in der Downing Street 10 absetzte, wo er mit dem neuen Premierminister Tony Blair auf dessen Triumph anstoßen durfte. Blurs Albarn verweigerte sich derartiger Vereinnahmung der hehren Kunst durch schnöde Macht und schlug die Einladung aus, während Gallagher vornehmlich eines interessierte: welche Drogen Blair genommen habe, um die lange Wahlnacht durchzuhalten.

Soviel zur Legende. Heute ist die Aufbruchstimmung längst verflogen ,der jugendliche Regierungschef von einst um zwei Amtszeiten, ein paar Kriegslügen und unauffindbare Massenvernichtungswaffen gealtert, und die Gallaghers hielten die Boulevardpresse zuletzt eher durch Schlägereien und Ehekrisen in Atem als mit furiosen musikalischen Auftritten. Kaum standen sie zusammen im Studio oder auf der Bühne, da gab es schon Zank, bis hin zu gebrochenen Gliedmaßen, die Noel dem kleinen Bruder mit einem Kricketschläger verpaßte. Gründungsmitglieder Paul Arthurs und Paul McGuigan verließen die Band. Die Platten aus dieser Zeit, "Be Here Now" (1997) und "Standing On the Shoulder of Giants" (2000), mag man wohlwollend als mittelmäßig bezeichnen; Noel wußte es drastischer auszudrücken.

Der langsame, mühevolle Wiederaufbau begann 2002 mit neuer Besetzung - Gitarristen Gem Archer und Andy Bell am Baß - und dem von der Kritik gefeierten Album "Heathen Chemistry". Hier klang erstmals an, daß die Band die Mitgröl-Hymnen hinter sich zu lassen gedachte, die mittlerweile zur Parodie ihrer selbst geworden waren - auf der Höhe ihrer Popularität hatten auch zahlreiche Oasis-Coverbands Hochkonjunktur. Noch herrschte jedoch längst nicht eitel Sonnenschein in der Oase: Im Januar 2004 wurde Schlagzeuger Alan White in die Wüste geschickt und durch Zak Starkey ersetzt, Ringo Starrs Sohn, der zuvor für The Who getrommelt hatte.

Kurz darauf begannen die Aufnahmearbeiten für "Don't Believe the Truth", mußten aber wieder abgeblasen werden, als offensichtlich wurde, daß die Band nicht genug neues Material hatte, um ein ganzes Album zu füllen. Sieben Monate später war auch diese Bagatelle beseitigt, und die Jungs kehrten ins Studio zurück, diesmal jenseits des Atlantik in Los Angeles.

Herausgekommen ist ein schlichterer Sound: stimmige Instrumentierung statt großer Klappe. Man hat eher die psychedelischen Klänge der 1960er Jahre im Ohr als die bombastischen Stadionrocker der 1990er. Nicht daß diese ganz fehlten - wo Oasis draufsteht, muß schließlich auch Oasis drin sein -, doch sind "Turn Up the Sun" (aus Andy Bells Feder) und die Single-Auskopplung "Lyla" die schwächeren Nummern auf dieser Platte.

"Glaub die Wahrheit nicht", das klingt nach tiefgründiger Botschaft im Zeitalter der Spindoktoren und sonstigen Quacksalber - oder doch bloß nach Kiffer-Epiphanie? Darin aber lag seit jeher das Genie der Gallaghers: daß sie bei aller Flegelei ihre Reime aus edelstem Gold schmieden. Neuerdings darf dabei auch Liam Hand anlegen, erweist sich mit Kompositionen wie dem wehmütig-tagträumerischen Akustikstück "Love Like A Bomb" oder "Guess God Thinks I'm Abel", einer wunderschönen musikalischen Meditation über die Höhen und Tiefen seiner Beziehung zum Bruder, als talentierter Songtexter und überrascht ganz nebenbei mit einem gefühlvollen, subtilen Vortrag.

Noels "Mucky Fingers", eine schamlose Hommage an The Velvet Undergrounds "Waiting for The Man", wartet mit unverhofften Wonnen auf: von der eigenwilligen Bildsprache des Textes über das kreischende Mundharmonikasolo, wie es Bob Dylan nicht besser hingekriegt hätte, bis hin zu dem stampfenden Bluesklavier. In "The Importance of Being Idle" kommt die bei eBay erworbene "schrottreife alte" Hammond-Orgel ebenso zu ihrem Recht wie Starkeys Trommelwirbel. "Part of the Queue" ist eine meisterhafte Parodie mit Anleihen bei den Small Faces und den Stranglers.

Zum Ausklang singen beide Brüder "Let There Be Love", eine schnörkellose akustische Popballade, die keinen Zweifel an dem Einfluß der Herren Lennon und McCartney aufkommen läßt. Und warum auch, schließlich wollten Oasis schon immer ein bißchen wie die Beatles sein.

Der Prolet als Poet: Auf der neuen Platte überrascht Oasis-Sänger Liam Gallagher mit gefühlvollem Vortrag


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