© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Wie ein Medienriese Politik macht
Zwei Journalisten werfen einen kritischen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart des Bertelsmann-Imperiums
Georg Pfeiffer

Der Journalist Hersch Fischler war genervt von der unausgesetzten Berufung auf höhere Werte, höchste ethische Prinzipien, einen gesellschaftlichen Auftrag und "Leistungsbeitrag" durch Vertreter des Bertelsmann-Konzerns und der gleichnamigen Stiftung. Er ist der Sache nachgegangen und hat untersucht, was daran sei. Dabei stieß auf interessante Fakten.

Der einstige theologische Provinzverlag, der sich als "Widerstandsverlag" und Opfer nationalsozialistischer Verfolgung stilisiert, gründet seine jetzige Stellung als Weltkonzern maßgeblich darauf, daß er im Dritten Reich mit Volksausgaben, Kriegserlebnisbüchern und Massenauflagen für die Wehrmacht stark expandierte. Sein damaliger Inhaber Heinrich Mohn war Mitglied des Fördervereins der SS und anderer nationalsozialistischer Organisationen.

Die angebliche Verfolgung und Schließung des Verlages entpuppte sich als ein Verfahren wegen exzessiver Verstöße gegen das Kriegswirtschaftsgesetz. Es ging um Bestechung, Urkundenfälschung und Betrügereien in für damalige Verhältnisse ganz großem Stil. Die zentrale Figur des Verfahrens, Matthias Lackas, wurde zu Tode verurteilt, aber nie hingerichtet. Die Verlagsleitung selbst kam mit geschicktem Taktieren ziemlich ungeschoren davon. Die angebliche Verlagsschließung war lediglich eine Untersagung bestimmter Tätigkeiten. Tatsächlich rotierten die Druckmaschinen bis zum Kriegsende in drei Schichten für den Endsieg.

Als sich diese Anschuldigungen bis in die Vereinigten Staaten herumsprachen, sah Bertelsmann sich veranlaßt, im Jahre 1998 eine Unabhängige Historiker-Kommission einzusetzen, welche die Behauptungen Fischlers weitgehend bestätigte. Aber auch Fischler recherchierte weiter und legte nun zusammen mit dem Münchner Autor Frank Böckelmann das Ergebnis seiner Nachforschungen vor.

Das Buch vermittelt aktuelle und historische Einblicke hinter die glänzende Fassade des Medienkonzerns. So haben die Autoren Fakten und Indizien zu Bertelsmanns Verstrickung in das Internet-Monopoly im Zusammenhang mit den Fällen AOL Europe und Terra Lycos zusammengetragen. Dabei sind Anleger in unglaublichem Ausmaß getäuscht und geschädigt worden.

Detailliert zeichnen die Autoren die Entwicklung vom theologischen Provinzverlag zum Weltkonzern nach. Ausführlich behandeln sie die skrupellosen Praktiken beim Aufbau des Leserings. Viele der dabei verwandten Methoden sind heute Musterbeispiele für den unlauteren Wettbewerb. Einige wurden sogar Gegenstand besonderer Gesetze wie des Haustürwiderrufsgesetzes und des Gesetzes über allgemeine Geschäftsbedingungen. Besondere Abschnitte widmen Böckelmann und Fischler der Bertelsmann-Unternehmenskultur und dem Wirken der Bertelsmann-Stiftung.

Die Autoren stellen die ermittelten Fakten der Bertelsmann-Rhetorik gegenüber. Sie weisen damit nach, daß letztere nicht nur bedenkenlos die eigene Firmengeschichte fälscht, sondern auch besonders skrupellose Geschäftspraktiken verdeckt und legitimiert. Von Anfang an bis heute setzte Bertelsmann das eigene Geschäftsinteresse mit dem Gemeininteresse gleich. Im Gemeininteresse aber ist fast alles erlaubt.

Politisch brisant ist besonders der Abschnitt über das Wirken der Bertelsmann-Stiftung und ihre direkte politische Einflußnahme. Die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen dürfen als originäre Bertelsmann-Produkte gelten. Dabei sind die Mechanismen ergreifend schlicht. Die Bertelsmann-Stiftung definiert die Kriterien, an denen öffentliche Institutionen zu messen seien. Ob es nun um Hochschulen, Bibliotheken, Krankenversicherungen, Arbeitsagenturen oder Finanzämter geht - es gibt keine Ausnahme. Sodann erheben die Gütersloher Spezialisten Kennziffern, Vergleiche, Ranglisten und Indizes. Gestaltungsweisen und Lösungen im Sinne der Bertelsmänner erhalten öffentliche Ehrungen, Preise und eine gute Presse. Gleichzeitig werden Arbeitstreffen, Wochenendseminare, Expertengespräche, Symposien, Konferenzen und Sommerakademien organisiert. Sie sind hochkarätig besetzt und transportieren die gewünschte Sichtweise.

Eine Einladung zu solch einer Veranstaltung kann niemand ausschlagen, der in der deutschen Politik und Gesellschaft etwas erreichen will. Sie bietet nicht nur Information, sondern auch unverzichtbare politische Kontakte, positive Reputation und eine wohlwollende Berichterstattung. Politische Themen werden immer weniger in politischen Gremien diskutiert und entschieden, sondern auf Foren der Bertelsmann-Stiftung.

Es ist erstaunlich, wie unbefangen Bundesminister, Oppositionsführer und selbst der noch amtierende Bundeskanzler mit dem Konzerninhaber Reinhard Mohn verkehren, während viel harmlosere Kontakte zu Leo Kirch oder zum Springer-Verlag von vornherein als verdächtig gelten. Die Bertelsmann-Stiftung hat es in der Hand, positiv konnotierte Themen in die Öffentlichkeit zu rücken und unpopuläre Themen oder Empfehlungen im Hintergrund zu behandeln.

Dem Leser erschließt sich, woher der einheitliche, austauschbare und kaum in winzigen Details unterscheidbare Politiker-Sprech in den öffentlichen Medien kommt. Für diejenigen, die das politische Gewebe und die Medienlandschaft in der Bundesrepublik verstehen wollen, ist die Lektüre dieses Buches unverzichtbar.

Frank Böckelmann, Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums. Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2004, 348 Seiten, gebunden, 19,90 Euro

Foto: Bertelsmann-Stiftungsvorstände Heribert Meffert, Gunter Thielen und Liz Mohn mit Bundeskanzler Schröder bei der Eröffnung der Hauptstadtniederlassung, November 2003: Politische Themen werden statt in politischen Gremien auf Foren der Bertelsmann-Stiftung diskutiert


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