© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Beinahe hilflose Ausführungen
Über Grenzen der Ausbeutung: Der Historiker Markus Eikel beschreibt die deutsche Besatzungsverwaltung in der Ukraine und ihre Zwangsarbeiterpolitik
Oliver Busch

Unrecht Gut gedeihet nicht. Diese Weisheit gilt zwar nur bedingt, denkt man an den russischen Kunst- oder den polnischen Landraub. Aber auf deutsche Zugriffe scheint sie eben uneingeschränkt anwendbar. Was wiederum die jüngste These über das so fabelhaft ertragreiche, "Hitlers Volksstaat" ernährende und zusammenschweißende europaweite Beutemachen der Deutschen in arg märchenhaftes Licht taucht.

Am "Fallbeispiel" der Ukraine, die im Rahmen zeithistorischer Forschungen über die deutsche Besatzungspolitik in der Sowjetunion im Unterschied zum Baltikum und Weißrußland stets etwas stiefmütterlich behandelt worden ist, hat Markus Eikel die Grenzen gewaltsamer Landnahme aufgezeigt (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 5/05). Er konzentriert sich dabei auf "Die deutschen Zwangsarbeitsrekrutierungen und -deportationen in den besetzten Gebieten der Ukraine 1941-1944". Aus diesem Raum, größer als "Großdeutschland", kamen während der Okkupationszeit 1,7 Millionen Zwangsarbeiter ins Reich, ein Kontingent, mit dem die Ukraine etwa 75 Prozent aller "Ostarbeiter" stellte.

Die Folgen waren in jeder Hinsicht kontraproduktiv

Eikel, wie Karel C. Berkhof (Harvest of Despair. Life and Death in Ukraine under Nazi Rule, Cambridge/London 2004) aus Kiewer Archivquellen schöpfend, beschreibt zunächst sehr ausführlich die polizeiliche Praxis der Zwangsaushebung von Arbeitskräften. Gewalt war erforderlich, weil sich kaum zehn Prozent der aus Berlin angeforderten Frauen und Männer den Besatzbehörden freiwillig zur Verfügung stellten. Und auch an deren "freien" Willen glaubt Eikel Zweifel anmelden zu müssen, angesichts etwa der "Hungersituation in der Stadt Kiew" 1941/42. Im Frühjahr 1942, als der thüringische Gauleiter Fritz Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz aufstieg, wurde die Ukraine dann in vollem Umfang mit den Planvorgaben der Berliner Vierjahresplanbehörde konfrontiert. Für die Zivilverwaltung unter dem für die Ukraine zuständigen ostpreußischen Gauleiter Erich Koch, die Sicherheitspolizei und die Wehrmacht ergaben sich daraus unlösbare Schwierigkeiten, die bereits im Sommer 1942 desaströse Züge annahmen.

Zwar gelang es mit Hilfe ukrainischer Kollaborateure zumindest, die Städte "auszukämmen" und bis zum August eine halbe Million Arbeiter für Industrie und Landwirtschaft ins Reich zu deportieren. Doch die Folgen waren in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Die SS-Sicherheitsbehörden berichteten über "verheerende Auswirkungen" auf die Stimmung der Bevölkerung. Auf dem Land träfen die Anwerber nur noch "leere Dörfer" an, wenn sie Arbeitskräfte rekrutieren wollten. Die Bevölkerung fliehe rechtzeitig in die Wälder. Ohnehin bedauerte man deutscherseits, "nur noch mit 'vierten bis sechsten Garnituren' vorliebnehmen" zu müssen, da die Elite in der Roten Armee diene oder mit Stalins Truppen das Land verlassen habe. In Kiew lebten Anfang 1941 noch 890.000 Menschen. Als die Wehrmacht im Sommer 1941 einrückte, hatte sich die Zahl bereits halbiert.

Das also keineswegs unerschöpfliche Menschenreservoir ließ nach Sauckels "Frühjahrsaktion" auch kaum noch weitere Aushebungen zu. Trotz nochmaliger Verschärfung der Gewaltmaßnahmen (Niederbrennen von Dörfern, Geiselfestnahmen von Familienmitgliedern) und des Versuches, ganze Geburtsjahrgänge als Arbeitspflichtige zu erfassen, gingen die Deportationszahlen seit Herbst 1942 zurück. Eikel weist zwar auf die geradezu phantastischen Berliner Vorgaben hin, die weiter bei der Zivilverwaltung in Rowno eingingen, verschweigt aber, daß die angeordnete Aushebung vom 500.000 hauswirtschaftlichen "Ostarbeiterinnen" im September 1942 ("Hausmädchen-Aktion") letztlich ein Fehlschlag war. Auch der unter dem Eindruck von Stalingrad vorgenommene Kurswechsel, die sanfte Art der Anwerbung und die Einführung von Unfall- und Sozialversicherung wie von Familienunterhaltszahlungen und Urlaub, brachte keine nennenswerte Steigerung der Rekrutierungsquote. Mit der schrittweisen Rückeroberung der Ukraine durch die Sowjetarmee ging die "Reichsanwerbung" rasch zurück und kam im Herbst 1943 vollständig zum Erliegen.

Der Bedarf an Arbeitskräften war in der Ukraine sehr groß

Aber selbst in den für Sauckel "erfolgreicheren" ersten Monaten des Jahres 1942 kann Eikel die zahlreichen Dilemmata der Besatzungsverwaltung und damit die relative Ineffizienz der Zwangsrekrutierungen dokumentieren. Denn eigentlich war deren eigener Arbeitskräftebedarf viel zu groß, um eine Aushebung zugunsten des Reiches zu erlauben. Mit Hinweis auf die einzubringende Ernte und die auch im Interesse der deutschen Kriegswirtschaft liegende Ankurbelung des Wirtschaftslebens vor allem im Donezbecken habe Kochs Zivilverwaltung mit "beinahe hilfslosen Ausführungen" auf die unlösbaren Interessenkollisionen reagiert, die Sauckels Aktionen auslösten.

"Auch unter den unbarmherzigen Bedingungen des deutschen Besatzungsregimes war es nicht möglich, alle anvisierten Pläne zugleich zu realisieren. So kam es, daß den Besatzungsbehörden zur Erreichung all dieser Ziele trotz Arbeiterdeportationen in der Größenordnung von mehreren Hunderttausend und flächendeckenden Zwangsarbeitsprojekten in der Ukraine letztlich doch 'die Menschen fehlten'".

Foto: Ukrainische Zwangsarbeiterinnen im "Ehepaarlager" von Siemens, Berlin um 1943: "Verheerende Auswirkungen"


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