© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Täter, Opfer, Profiteure
Vergangenheitsbewältigung: Juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts / Bärbel Bohley weist auf personelle Kontinuitäten hin
Ekkehard Schultz

Knapp 15 Jahre nach der Vereinigung von West- und Mitteldeutschland lud die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur am vergangenen Freitag zu einem Podiumsgespräch über die strafrechtliche Bewältigung des in der DDR staatlich gelenkten beziehungsweise begünstigten Unrechts ein. Die prominente Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, Generalstaatsanwalt a.D. Christoph Schaefgen, Friedrich-Christian Schroeder von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg, der Vorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Horst Schüler, und der West-Berliner Rechtswissenschaftler Uwe Wesel hatten sich im Justizministerium eingefunden, um über dieses mittlerweile offiziell abgeschlossene Kapitel der jüngsten Vergangenheit Bilanz zu ziehen.

Aufarbeitung als Erfolg für den Rechtsstaat

In einer Einführung bezeichnete Staatssekretär Hansjörg Geiger die geleistete Aufarbeitung des DDR-Unrechts durch die bundesdeutsche Justiz als "Erfolg des Rechtsstaates". In den Urteilen habe sich manifestiert, daß sich kein Täter "hinter dem Apparat verstecken" könne. Mit den abgewiesenen Beschwerden des ehemaligen SED-Generalsekretärs Egon Krenz sowie der NVA-Generäle Heins Kessler und Karl-Heinz Hoffmann habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deutlich gemacht, daß diese Rechtsprechung nicht nur nationalen, sondern auch internationalen Standards gerecht geworden sei.

Eine andere Wertung nahm in der anschließenden Diskussion die ehemalige Bürgerrechtlerin Bohley vor: Zwar habe die Justiz auch einen Beitrag zur Aufklärung des DDR-Unrechts geleistet, doch das grundsätzliche Fehlen von "härteren Urteilen" gegen hohe Parteikader stimme "bedenklich". Weitaus beunruhigender, so Bohley, seien jedoch die personellen Kontinuitäten in der Justiz selber: So könnten heute ehemalige DDR-Richter, die früher Unrechtsurteile fällten, sowie Anwälte, die der "Rechtsbeugung" überführt worden seien, heute erneut als Richter oder Anwälte tätig sein.

Unterstützung erhielt Bohley von dem Regensburger Rechtsexperten Schroeder. Die Aufarbeitung des durch DDR-Juristen verübten Unrechts sei höchst lückenhaft geblieben. "Teilweise höchst peinlich" seien etwa die Urteile gegen Richter ausgefallen, die Jugendliche für das Aufmalen eines harmlosen Spruchs wegen "Kriegshetze" zu schwersten Strafen verurteilten. Noch bedenklicher sei freilich, daß einige westdeutsche Juristen für solche Urteile noch Rechtfertigungen geliefert hätten, die "nicht einmal den schlimmsten DDR-Richtern eingefallen" wären. Selbst der Bundesgerichtshof habe in vielen Urteilen die Position der Täter gestützt und dagegen vollkommen das Unrecht an den Opfern vernachlässigt.

Ex-Generalstaatsanwalt Schaefgen urteilte dagegen, daß die Ursachen einiger Probleme bei der juristischen Aufarbeitung der DDR im Einigungsvertrag von 1990 lägen. Die Frage, was nach der Verschmelzung der beiden deutschen Staaten konkret verfolgt werden sollte, sei darin nicht beantwortet worden. Der UOKG-Vorsitzende Schüler erinnerte daran, was die DDR darstellte: Sie sei "keine kommode Diktatur", sondern ein "verbrecherischer Unrechtsstaat" gewesen. Daher müsse die Orientierung an der Bestrafung des NS-Unrechts erfolgen.

In der Rolle des agent provocateur gefiel sich der Rechtswissenschaftler Wesel. Nach der gezielten Heraushebung seines "linken politischen und kulturellen Hintergrundes" behauptete er, daß die pauschale Bezeichnung "DDR-Unrecht" an den Tatsachen vollkommen vorbeigehe. So hätten sich die Richter in der DDR "im Rahmen des Rechtes" bewegt, welches lediglich "anders", aber damit noch lange "kein Unrecht" gewesen sei. Im Gegenteil: Viele Paragraphen, so etwa im Familienrecht, seien im Gegensatz zur Bundesrepublik "weitaus menschlicher" gewesen, sagte Wesel.

Streit um den Sinn einer Amnestie

Zudem dürfe die DDR auch als solche im Gegensatz zum Dritten Reich nicht als "Unrechtsstaat" betrachtet werden. Deshalb habe er, so Wesel, auch bereits in den neunziger Jahre eine generelle Amnestie befürwortet, denn es gebe viele Beispiele für "Amnestien in der Geschichte, die gute Auswirkungen" hinsichtlich der Versöhnung von einst verfeindeten Parteien gezeigt hätten.

Nicht nur auf dem Podium, wo Bohley Wesel daraufhin als "Demagogen" betitelte, trafen diese Ausführungen jedoch auf kein Verständnis. Mehrere prominente Vertreter der Opferverbände, darunter der stellvertretende Vorsitzende des Bundes der stalinistisch Verfolgten (BSV), Harald Strunz, brachten ihren Unmut über diese Provokationen zum Ausdruck.


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