© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Als die Einheit unumkehrbar wurde
Die Währungsunion vor 15 Jahren hat den Vereinigungsprozeß massiv befördert/ Wirtschaftliche und fiskalische Folgen wurde beiseite geschoben
Friedrich Karl Fromme

In dem vorzeitigen Wahlkampf, auf den sich alle demokratischen Parteien blindlings eingelassen haben - obwohl der Entschluß des Bundespräsidenten, ob er den jetzigen Bundestag nach abgelehnter Vertrauensfrage des Bundeskanzlers auflöst oder eben nicht, noch aussteht -, kommt immer wieder ein Rückblick in eine nach Jahren junge Vergangenheit auf. Vor 15 Jahren, am 1. Juli 1990, trat der Vertrag über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Kraft. Das war, wie bereits damals klar war, die nicht revidierbare Weichenstellung in Richtung der staatlichen deutschen Einheit. Nicht wenige aus der Bürgerrechtsbewegung, die den Widerstand, schließlich das Aufbegehren gegen das Regime des Politikbüros der SED angeführt hatten, wollten etwas mehr Zeit haben. Den einen schwebte ein schonender Übergang vor, andere hätten sogar ein Weiterbestehen der DDR in einer reformierten und demokratisierten Form vorgezogen.

Die Währungsunion nahm die Einheit faktisch voraus

Der Inhalt des in Eile verhandelten Vertrages, der dem über die eigentliche Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands um einige Monate vorausging (dieser Vertrag wurde am 3. Oktober wirksam), bedeutete bereits die faktische Herstellung der deutschen Einheit. Die DDR verzichtete auf eine eigene Währung. Vom 1. Juli an war die "westliche" D-Mark in der DDR das einzige gültige Zahlungsmittel. Mit dem 1. Juli 1990 wurden praktisch alle finanziellen Transaktionen - Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten und Mieten - im Verhältnis eins zu eins in entsprechende DM-Beträge umgewandelt.

Die Eile, die bei dieser ökonomischen Angleichung der DDR an die Bundesrepublik den Politikern des Übergangs als geboten erschien, hatte ihre Vorwirkungen. Die eigentlich für den Mai geplanten Volkskammerwahlen in der DDR wurden auf den 18. März vorgezogen. Vorher sollten die als dringlich angesehenen Verhandlungen über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion nicht aufgenommen werden, weil in der Regierung des Ministerpräsidenten Hans Modrow (SED) kein akzeptabler Verhandlungspartner gesehen wurde. Sondierungen zwischen Bonn und Ost-Berlin hatten freilich bereits im Februar begonnen. Man darf es eigentlich nicht sagen, aber es war so: Die breite Masse der DDR-Bevölkerung sah in der überraschend realisierbar werdenden deutschen Einheit mindestens "auch", wenn nicht gar "eigentlich" die ökonomische Einheit, also die Einführung des westlichen Wirtschaftssystems. Das Reisen in den "Westen" war nur Personen im Rentenalter und wenigen Privilegierten erlaubt, die dem sogenannten "Reisekader" zugehörten, und die meisten Bewohner der DDR kannten "den Westen" nicht aus eigenem Erleben, sondern aus der bunten weiten Welt, welche das "West-Fernsehen" vermittelte.

Die DDR hatte in ihren letzten Jahren das freilich erst "irgendwann" eintretende Werden einer deutschen Einheit vorweggenommen. Die D-Mark kam in erheblichen Mengen unkontrolliert ins Land: Familienangehörige aus dem Westen ließen als Gastgeschenk Geldbeträge zurück, und Briefe in die DDR enthielten - ausweislich der Schnüffel-Dokumentation der Stasi - in nicht unerheblichem Maße "Westgeld". Ganz zu schweigen von den "Intershops" - deren englischsprachige Bezeichnung ihre Zuordnung zum Klassenfeind verriet -, in denen die DDR selbst ihren Anteil von der heimlich eingeflossenen D-Mark einheimste, indem "Westprodukte" für "Westgeld" zu haben waren, manchmal auch mit DDR-Währung nicht aufzuwiegende Artikel des täglichen Bedarfs, die "nur für den Export" bestimmt waren. In der Zulassung einer fremden, einer sogar bekämpften Währung als des eigentlich kaufkräftigen Zahlungsmittels lag das Eingeständnis des Scheiterns. Es war freilich ungewiß, wie lange das System des schieren Zwanges die Kraft haben würde, das Regime aufrechtzuerhalten - gilt doch der Satz: "Ohne eigene Währung hat kein Staat Bestand".

Am 1. Juli 1990 übernahm die West-Währung die Macht. Die staatliche Macht folgte. Der Titel des Vertragstextes nennt die verschiedenen Gebiete. Die Ersparnisse der Bürger wurden im Verhältnis eins zu eins umgewechselt, allerdings mit der "sozialen" Degression ähnlich der, welche die Sowjetzone schon nach ihrer Währungsreform im Juni 1948 vorgenommen hatte. Es galt die Formel: Kleine Beträge, die "Spargroschen" also, verwandeln sich eins zu eins in neues Geld, also Guthaben bis zu 6.000 Mark. Was darüber lag, wurde um die Hälfte abgewertet. Dafür galt ein Verhältnis zwei zu eins. Löhne, Gehälter und Renten wurden eins zu eins, nach den alten Zahlen, umgestellt.

Hier zeigten sich bald in verschiedene Richtungen weisende Auswirkungen. Die Renten in der DDR waren niedrig. Mit der Umstellung auf "West" wurden gerade die Kosten, die ein Rentnerhaushalt zu bestreiten hat, zunehmend höher - voran die Mieten. Folglich war es unerläßlich, für die Rentner aus der DDR steigende Renten vorzusetzen. Dabei war schon die Übernahme der Renten (Ost), für die niemals ein Pfennig in die Rentenversicherung (West) gezahlt worden war, ein Problem. Unter dem Stichwort, daß die Rentner mit dem neuen System zufrieden sein müßten, kam ein weiteres ins Spiel: die in unübersehbarer Vielfalt gewährten Sonderrenten der DDR, von denen die einen einer besonderen Leistung galten. Das ist wiederum danach zu differenzieren, ob es sich um Leistungen für den Staat (erbracht etwa vom Stasi-Offizier) handelte oder um eine den Menschen dienende Leistung wie die eines öffentlich angestellten Arztes. Die "I-Renten" ("I" für Intelligenz, so hieß das in der DDR) wurden zunächst stiefmütterlich behandelt. Auf Druck des Bundesverfassungsgerichts wurden diese Renten später großzügiger bewertet. Jedenfalls ist die Übernahme der Zahlungspflicht gegenüber Rentnern aus der DDR für die Versicherungsträger eine schwer zu bewältigende Last.

Die vom 1. Juli 1990 an "Wert" zu zahlenden Löhne und Gehälter nahmen sich zunächst bescheiden aus. Aber selbst diese kleinen Beiträge summierten sich, während immer mehr der in der Regel "östlichen" Abnehmer der Produktion nicht mehr zahlen konnten. So waren die Löhne zuerst zu niedrig, stiegen dann, und ihr Charakter wandelte sich ziemlich schnell in "zu hoch". Die Folge: Die Betriebe wurden in großer Zahl illiquid. Daraus wiederum folgte die prozentual hohe, seit Jahren auf diesem Niveau stagnierende Arbeitslosigkeit, unter der die "neuen Länder" leiden.

Vor einer zu großzügigen Umwandlung der Mark der DDR in die D-Mark der Bundesrepublik, die wie durch ein Zauberkunststück geschah, hatten Sachkundige von Beginn an gewarnt. Ein Bundesbankpräsident, Karl-Otto Pöhl, ist wegen des seinen Warnungen nicht gewährten Gehörs von seinem Amt zurückgetreten. Einwände kamen auch von seiten der SPD, die am 18. März 1990 mit kargen 21,8 Prozent aus den Volkskammerwahlen hervorgegangen war und dem Währungs-Staatsvertrag am 21. Juni abgelehnt hatte, nach den Willen ihres Vorsitzenden Oskar Lafontaine.

Es galt, einer Abwanderung aus der DDR zu wehren

Politiker sagten aus einer gewissen Verzweifelung, bei der nächsten Wiedervereinigung würden sie es besser machen. Eine ironische Fußnote zum Kapitel über die damals verbreiteten guten Ratschläge ist die, daß den DDR-Bürgern, die von dem Wechselkurs von zwei zu eins oberhalb der "Reichen"-Grenze von 6.000 Mark betroffen waren, eine Ausgleichszahlung versprochen wurde aus den Gewinnen der Treuhandanstalt bei der Privatisierung der in ihrer Effektivität weithin überschätzten volkseigenen Betriebe der DDR. Bekanntlich lag die Bilanz der Treuhandanstalt bei einigen hundert Millionen D-Mark Verlust. Für die DDR-Bürger war dies eine schroffe Lehre in Sachen kapitalistische Wirtschaft. Die Lektion anzunehmen, täte auch den Westdeutschen gut: Die Marktwirtschaft ist kein System der garantierten, immerwährenden Verbesserung der Lebensverhältnisse.

Heute sind alle klüger. Besonders kann sich Lafontaine damit brüsten, was allerdings im jetzigen Wahlkampf auf das Haben-Konto seines neuen Linksbündnisses ginge - ungeachtet der Tatsache, daß sein früherer SPD-Genosse Gerhard Schröder die Währungsunion im Bundesrat als Ministerpräsident von Niedersachsen wie Lafontaine namens des von ihm damals regierten Saarlandes abgelehnt hat. Wahrscheinlich hätten heute Vorschläge wie der, aus der DDR ein nach allen Seiten abgeschirmtes besonderes Währungs- und Wirtschaftsgebiet zu machen, in dem sich ihre Wirtschaft behütet vor den harten Folgen der Marktwirtschaft neu hätte entwickeln können, größere Chancen, beachtet zu werden, als damals.

Aber damals war die politische Lage nun einmal die, daß die Mehrheit der Bewohner der DDR vor allem die Einführung der D-Mark wollte, daß diese Mehrheit mit noch so wohlmeinenden Übergangsformen nicht einverstanden gewesen wäre. Der Kundgebungsparole "Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr" war damals zum vollen Nennwert zu nehmen. Es galt, einer Abwanderung aus den neuen Ländern zu wehren, die heute freilich auf stiller Weise stattfindet und der niemand wehren kann. Aber der Preis wäre wohl der Verzicht auf die deutsche Einheit gewesen.

Foto: Montagsdemonstration am 12. Feburar 1990 in Leipzig: Die große Mehrheit war mit Übergangsformen nicht einverstanden


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