© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Ein Philosoph auf dem Thron
Jürgen Rüttgers Visionen
Thomas Bachmann

Als Zukunftsminister der Vergangenheit müßten ihn die Wähler eigentlich für das, was heute ist, verantwortlich machen. Dennoch haben sie Jürgen Rüttgers in NordrheinWestfalen Ende Mai die Legitimation erteilt, auf dem Sessel des Ministerpräsidenten Platz nehmen. Zu groß war wohl das Vergnügen, die Sozialdemokraten daran zu hindern, den Regierungszeitrekord der SED einzustellen. Was denkt, was will so ein Mann, der es wagt, in einem derart hoffnungslosen Land das Steuer zu übernehmen? Es steht zu befürchten, daß man durch sein Regierungshandeln einer Beantwortung der Frage nicht näher kommen wird. Die Versuchung liegt also nahe, das in seinem Namen inmitten des Wahlkampfes erschienene Taschenbuch "Worum es heute geht" zu Rate zu ziehen. Wer sich ihm widmet, kommt auf seine Kosten. Nur selten schien die Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte die Empfehlung Platons, Philosophen an die Spitze des Gemeinwesens zu stellen, beherzigen zu wollen. Nun, in Düsseldorf es endlich wieder einmal gelungen. Jürgen Rüttgers bewegt sich, das weisen die zahllosen eingestreuten Sinnsprüche aus, auf Augenhöhe mit den großen Denkern vergangener Tage. Zugleich hat er die Zeichen der Zeit verstanden. Er verrät zum Beispiel, daß es heute Globalisierung gibt, bei der alles irgendwie vernetzt ist. 

Wurden früher bloß so schnöde Dinge wie Stahl oder Waschmaschinen produziert, steht heute die Herstellung von Wissen im Zentrum. Wer über solches nicht verfügt, hat schlechte Karten. Noch dazu sollten die Menschen mobiler und flexibler werden, mehr und länger arbeiten, lieb zu ihren Mitmenschen sein, optimistisch in die Zukunft blicken, Fortschritt wollen, ihm jedoch auch mißtrauen. Jürgen Rüttgers hat - und das unterscheidet ihn von den meisten Philosophen - die Gabe, eigentlich komplexe Zusammenhänge so darzustellen, als seien sie ganz banal. Die geistige Aufbruchstimmung, die er verkörpert, tauft er selbstbewußt auf den Namen "Neue Moderne". Sie faßt all das zusammen, was richtig war, und läßt das Falsche links liegen. Wieder einmal hat die Geschichte ein Ziel. Für Hegel war es Preußen, vielleicht ist ja für Rüttgers NordrheinWestfalen.

Jürgen Rüttgers: Worum es heute geht. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005, 205 Seiten, boschiert,7,95 Euro


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