© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Absolution aus Straßburg
Enteignungen I: Wie Unwahrheit über Wahrheit triumphiert / Aushöhlung des Rechts am privaten Eigentum seit 1990
Klaus Peter Krause

Der deutsche Fiskus darf sich nun abermals die Hände reiben - und mit ihm jene Mehrzahl von Politikern, die seit der deutschen Wiedervereinigung von 1990 für den fiskalischen Raubzug ohne Hemmungen private Eigentumsrechte gebrochen haben, die dafür ungestraft davonkommen und sich durch den Richterspruch aus Straßburg nun auch noch als reingewaschen darstellen können. Mit seinem am 30. Juni verkündeten Spruch setzt sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun ein zweites Mal dem Vorwurf aus, politisch entschieden zu haben.

Das erste Mal eingehandelt hat er sich ihn genau drei Monate zuvor: mit seiner am 30. März kundgetanen Entscheidung, die Beschwerden der Opfer politischer Verfolgung in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 überraschend als "unzulässig" abzuweisen (JF 15/05 und 18/05). Als Teil dieser Verfolgung hatten die Kommunisten diesen Familien auch alles Eigentum weggenommen. Waren die Opfer Landwirte, wurde ein Teil des ihnen entzogenen Agrarlandes an Vertriebene aus dem deutschen Osten und an Landarbeiter zu Eigentum vergeben, nach kommunistischer Lesart als Bodenreform dargestellt.

Die Opfer der jüngsten EGMR-Entscheidung ist die Erbengeneration jener Familien, die dieses "Bodenreformland" damals bekommen und es nun in Straßburg endgültig verloren hat (JF 26/05). Der deutsche Fiskus darf behalten, was er diesen Familien seit 1992 entrissen hat: entweder das Land oder, wenn sie es verpachtet hatten, sämtliche Pachteinnahmen, oder wenn sie es verkauft hatten, den gesamten Verkaufserlös - und zwar selbst dann, wenn sie dieses Geld längst ausgegeben hatten. Ungerührt und kalt sahen nahezu alle Politiker diesem herzzerreißenden Treiben zu, das 1992 ausgerechnet die sogenannten bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP ins Werk gesetzt hatten.

Dieser Verlust ist deswegen besonders hart und bitter, weil er Menschen zugefügt wird, die bis 1990 die Unfreiheiten, Rechtswidrigkeiten und Lebensarmseligkeiten des DDR-Regimes haben ertragen müssen. Er ist es ferner deswegen, weil dieses "Bodenreformland" für sie durchweg der einzige nennenswerte Vermögenswert war, den sie 1990 aus der DDR-Armut in die deutsche Einheit mitbrachten. Er half ihnen den Neustart erleichtern, als sie sich unversehens in einem für sie neuen Staatswesen mit Marktwirtschaft und Wettbewerb wiederfanden, das sehr schnell und leider dauerhaft mit massenhaften Arbeitsplatzverlusten über sie kam.

Der Verlust, dieser staatliche Raub, ist zusätzlich bitter, weil die Verfolgungsopfer von 1945 bis 1949, also die eigentlichen Eigentümer, (mit einigen wenigen und verständlichen Ausnahmen) auf eine Rückgabe dieses Landes verzichtet hatten und nur die in Staatshand geratenen Flächen zurückverlangen: Sie wollten Unrecht, das einst ihnen angetan worden ist, nicht mit einem Verlangen bereinigt sehen, das diese einstigen DDR-Bürger dann ihrerseits als Unrecht empfunden haben würden. Und entspricht nicht ebendieser Verzicht exakt der sogenannten DDR-Bedingung, ohne die die deutsche Einheit nicht zu haben gewesen sein soll?

Die Gewaltenteilung mutiert zur Gewaltenverschmelzung

In der Tat, dem entspricht sie: Die Ergebnisse der "Bodenreform" sollten Bestand haben. Der erste (und letzte) frei gewählte Ministerpräsident der ersten (und letzten) frei gewählten DDR-Volkskammer, Lothar de Maiziere, hat darauf bestanden. Auch wird er nicht müde, noch heute darauf zu pochen. Das heißt doch im Klartext: Wer "Bodenreformland" noch besaß, sollte es behalten dürfen. Und hatte nicht zuvor die vorletzte DDR-Volkskammer unter ihrem Ministerpräsidenten Hans Modrow das bis dahin sozialistisch beschränkte Eigentum an diesem Land mit ehern gedachtem Gesetz vom 6. März 1990 in den Rang vollwertigen Privateigentums gehoben? Das hat sie in der Tat.

Man muß sich nun nicht in die umfänglichen juristischen Darlegungen darüber verlieren, warum den DDR-Bürgern das Land als Eigentum tatsächlich zusteht - ebenso nicht, obwohl es reizvoll wäre, in die beklemmende Rabulistik, mit der die Bundesregierung und jetzt der EGMR begründet, warum es ihnen nicht zusteht (JF 06/05). Es genügt, als erstaunliches Ergebnis zweierlei festzustellen:

1. Ausgerechnet jene Bedingung, die in den Verhandlungen zur deutschen Einheit 1990 tatsächlich gestellt worden ist, nämlich die der DDR, hat die Bundesregierung Kohl mit den sie tragenden "bürgerlichen" Parteien 1992 (einschließlich der Opposition) umstandslos und rigoros mißachtet. Ex und hopp.

2. Jene Bedingung dagegen, die die Kohl-Regierung erfunden hat, nämlich die (vermeintliche) der Sowjetunion, wird noch heute von deutschen Ämtern und Gerichten gnadenlos exekutiert und von der Mehrheit in allen politischen Parteien zustimmend unterstützt, gelegentlich bestenfalls mit ein paar oberflächlichen Krokodilstränen und stets mit dem Hinweis auf (bedenkliche) höchstrichterliche Entscheidung begleitet. Es ist das vorgetäuschte Rückgabeverbot für alle jene Vermögenswerte, die 1945 bis 1949 mittels politischer Verfolgung den Opfern weggenommen worden sind.

So triumphiert die Achtung einer bewußten Unwahrheit, also einer Lüge, über die Mißachtung einer Wahrheit. Diesem absurden Ergebnis hat nun - in beiden Fällen - auch der EGMR seine richterliche Absolution erteilt. Was ist daran rechtsstaatlich? Man wähnt sich in einem bösen Traum und muß doch erkennen: Er ist heutige Rechtsprechungswirklichkeit. Das Grundrecht am privaten Eigentum unterliegt in Deutschland seit 1990 einer Aushöhlung durch alle drei Gewalten. Das zeigt sich auch in zwölf weiteren Fällen von staatlichem Wiedervereinigungsunrecht, darunter das Mauergrundstücksgesetz, das Unrecht an LPG-Mitgliedern, die Wohltaten für die einstigen "roten Barone", der Umgang von Ämtern und Gerichten mit Ansprüchen aus Enteignungen in der DDR-Zeit. Was wohlbedacht als Gewaltenteilung konzipiert ist, mutiert zur Gewaltenverschmelzung. Dem hat die Mehrheit der EGMR-Richter, die in beiden behandelten Fällen Menschenrechtsverletzungen nicht sehen will, Beihilfe geleistet.

 

Dr. Klaus Peter Krause war bis 2004 verantwortlicher Redakteur im Wirtschaftsressort der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Geschäftsführer der FAZIT-Stiftung.


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