© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Es droht der Staatsbankrott
Polen: Außenminister Rotfeld weist jüdische Entschädigungsforderungen zurück / Keine "besondere Behandlung"
Ivan Denes

Zwischen der polnischen Links-Regierung und dem Jüdischen Welt-kongreß (WJC) bzw. der World Jewish Restitution Organization (WJRO), die für jüdische Vermögenswerte außerhalb Deutschlands und Österreichs zuständig ist, ist ein offener Konflikt ausgebrochen. Im Mittelpunkt steht die Forderung des Führungstandems beider Organisationen - Edgar Bronfman und Israel Singer - nach voller Restitution oder Entschädigung jenes jüdischen Eigentums, das unter der deutschen Besatzung Polens während des Zweiten Weltkrieges und ab 1945 vom KP-Regime geraubt wurde.

Daß für die regierenden Postkommunisten (SDL) die Enteignungen ihrer Vorgängerpartei (der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei PZPR/PVAP) ein heikles Thema sind, überrascht nicht. Ein anderer Aspekt hingegen schon. Der polnische Außenminister Adam Daniel Rotfeld - nach dem Solidarnosc-Aktivisten Bronislaw Geremek der zweite Jude in diesem Amt seit 1990 - hat letzte Woche auf die Tatsache hingewiesen, daß die Republik Polen schon aus rein wirtschaftlichen Gründen dieser WJC-Forderung unter keinen Umständen nachkommen könne: es würde einen Zusammenbruch der gesamten polnischen Wirtschaft verursachen. Es sei aber ein Gesetz auf den Weg gebracht worden, daß eine pauschale Entschädigung in Höhe von 15 Prozent für alle Entschädigungsberechtigten vorsehe. Außerdem sei Polen nicht bereit, jüdischem Eigentum eine "besondere Behandlung" zukommen zu lassen: Alle Geschädigten werden gleichermaßen behandelt, erklärte Rotfeld, der unter dem PZPR-Regime Mitarbeiter des Polnischen Instituts für Internationale Beziehungen (PISM) in Warschau war.

Antisemitismus-Vorwürfe können Rotfeld nicht treffen

Eine derartig klare Position hätte wohl ein nichtjüdischer Außenminister kaum ungestraft vertreten können. Doch Rotfelds Biographie - 1938 in der Nähe von Lemberg, im damals polnischen Galizien, geboren und den Holocaust nur Dank glücklicher Fügungen überlebt - ist für Antisemitismus-Vorwürfe der falsche Ansprechpartner. Und: Rotfelds Argumentation leuchtet aus zwei triftigen Gründen ein.

Erstens lebten im Vorkriegspolen zwischen 2,5 und drei Millionen Juden, deren materielles Vermögen vollständig verlorenging. Schon bei der Restitution des Grundbesitzes ehemaliger jüdischer Gemeinden ergaben sich in den neunziger Jahren unüberwindliche Schwierigkeiten: Es ging um jeweils Tausende von Synagogen, Friedhöfen, Schulen, Gemeindehäusern oder rituellen Bädern.

Die auf weniger als zwanzigtausend geschrumpfte jüdische Gemeinde Polens ist gar nicht in der Lage, eine solche Gütermasse zu verwalten. Moralisch sind Restitutionsforderungen jedes einzelnen überlebenden polnischen Juden oder seiner Erben natürlich berechtigt.

Nur kollidieren hier Moral und Realität: Schon bis 2002 waren 54.000 Anträge im Wert von über zwei Milliarden Euro in Warschau eingegangen. Bei einer polnischen Zusage für vollständige Restitution könnte es um das Vielfache dieser Summe gehen. Es liegt auf der Hand, daß Polen nicht in der Lage ist, derartige Gelder aufzubringen. Singer, der langjährige Verhandlungsführer des WJC und der WJRO (wie auch der Jewish Claims Conference), wird jedoch keine Rücksicht auf die polnische Finanzlage nehmen.

Antipolnische Anzeigen und Anhörungen im US-Kongreß

Singer, der angeblich noch in diesem Jahr in den Ruhestand gehen will, wird mit aller Härte - unter Androhung von "Sanktionen", wie es seine übliche Verhandlungsführung ist - auf einer astronomischen Summe bestehen, für die es dann allerdings keine "Anwärter" gäbe. Ähnlich war es schon mit den "schlafenden Konten" in der Schweiz gewesen: Auf zwei Drittel des Geldes (1,2 Milliarden US-Dollar) gab es keinen Konteninhaberanspruch - die Betreffenden wurden bekanntlich während des Zweiten Weltkriegs ermordet.

Singer wird dennoch antipolnische Anzeigen in der New York Times und der Washington Post schalten, Anhörungen im US-Kongreß veranlassen, zum Boykott polnischer Waren aufrufen - das gesamte bekannte Repertoire durchspielen. Und ein weiterer Aspekt ist zu erwähnen. Ein erheblicher Teil des polnischen Judentums lebte im Ostteil der damaligen Republik Polen, dem Landesteil, der aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes und des Einmarsches der Roten Armee im September 1939 von der Sowjetunion einverleibt wurde.

Dieses Gebiet gehört heute zur Ukraine und zu Weißrußland sowie zu Litauen. Laut einer Untersuchung des US-Kongresses aus dem Jahr 1954 wurden mehrmals hunderttausend polnische Juden von den Sowjets nach Sibirien verschleppt, von denen die Mehrzahl nie wieder gesichtet wurde. Aus Gründen der political correctness wird dieses Kapitel der Shoa am seltensten erwähnt.

Bliebe Singer konsequent, müßte er einen Teil der Forderungen an die Ukraine und an Weißrußland stellen. Was man aus Kiew oder Minsk antworten würde, ist leicht zu erraten. Und wie sich die Forderungen im begonnenen polnischen Wahlkampf auswirken, läßt sich ebenfalls erahnen: Parteien wie die nationalkatholische Liga Polnischer Familien (LPR) dürften auf solche "Munition" geradezu gewartet haben.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen