© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Tom rennt und rennt
Uninspiriert: Steven Spielbergs "Krieg der Welten"
Michael Insel

Niemand hätte in den ersten Tagen des 21. Jahrhunderts geglaubt, daß unser menschliches Tun und Lassen von den endlosen Weiten des Weltalls aus verfolgt werden könnte ... und doch blickten jenseits des gähnenden Weltraums Geister, die uns unendlich überlegen waren, mit neidischen Augen auf unsere Erde. Und bedächtig und sicher schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns." Bis zu seinem Kinostart vergangene Woche zählte Steven Spielbergs "Krieg der Welten" dank des über ihn verhängten Presse-Embargos zu den bestgehüteten Geheimnissen in Hollywood, dabei hätte man den Auftakt fast Wort für Wort in H. G. Wells' Romanvorlage nachlesen können - ein Tribut an die anhaltende Bannkraft seiner "wissenschaftlichen Romanze", die 1897 als Fortsetzungsroman in Pearson's Magazine erschien.

Heute kommt die allgegenwärtig empfundene Bedrohung nicht aus dem All, sondern aus unserer Mitte, und so stand nicht zu erwarten, daß eine Neuverfilmung dieses Stoffes über die Invasoren vom Mars dem Original allzu treu bleiben würde. Tatsächlich hat sich Spielberg eher an den Science-Fiction-Filmen seiner Jugend orientiert - nicht zuletzt an Byron Haskins' "Krieg der Welten"-Adaption (1953), die den interplanetarischen Konflikt lediglich zum Vorwand nimmt, die Paranoia des Kalten Krieges auf die Leinwand zu bringen.

Statt den Einfall der Außerirdischen in globalem Ausmaß zu zeigen wie etwa in Roland Emmerichs "Independence Day" (1996), wo gigantische Ufos bedrohlich über den wichtigsten Städten der Welt kreisen, um sie dann mit ihren todbringenden Strahlen zu vernichten, konzentriert sich Spielberg auf den Überlebenskampf einer amerikanischen Familie. Ray Ferrier, Hafenarbeiter in New Jersey, geschieden, schlechter Vater, hat nicht unbedingt das Zeug zum Helden. Würde er nicht von Tom Cruise gespielt, man traute ihm kaum zu, die ihm zugemuteten Aufgaben zu bewältigen: Nicht nur, daß ihm die Außerirdischen dicht auf den Fersen sind, er muß sich auch noch um seine beiden Kinder kümmern.

In einer kolossalen Pechsträhne stolpert er 118 Minuten lang bis zum über alle Maßen kitschigen Happyend von einem Unglück ins andere, so daß man sich ständig versucht fühlt, ihm wie im Kasperletheater zuzurufen: "Paß auf, Tom, hinter dir!" oder "Renn um dein Leben!" Rays Beziehung zu seinem rebellischen Sohn Robbie (Justin Chatwin) läßt kein einziges Klischee aus, und die wundervolle Dakota Fanning muß als Tochter Rachel einen kreischenden Fratz spielen, bis sie schließlich in einen beinahe katatonischen Zustand verfällt. In einer Nebenrolle ist Tim Robbins als durchgeknallter glupschäugiger Survivalist mit von der Partie.

Was sie alle vor der totalen Katastrophe bewahrt, sind die großartigen Effekte aus der Werkstatt des achtfachen Oscar-Gewinners Dennis Murren. Die Invasion läßt den Himmel schwarz werden, Blitze reißen den Boden auf, die von den Außerirdischen vor Jahrmillionen vergrabenen Tripods (getreu Edward Goreys Originalillustrationen) brechen durch die Straßen, werfen Autos in die Luft, splittern eine Kirche entzwei. Unvergeßlich ist auch der Zug, der sich in einen rasenden Feuerball verwandelt, Flammen schlagen aus sämtlichen Abteilen.

Orson Welles' Hörspielversion von 1938 war bekanntlich so realistisch, daß in New York eine Massenpanik ausbrach. Spielbergs Film dagegen ist reiner Eskapismus, der sich allerdings immer wieder der Erinnerung an den 11. September 2001 bedient, um Bilder für das Grauen einer Invasion aus dem All zu finden: von der Manhattaner Skyline ganz am Anfang bis zu den Fotogalerien der Vermißten. Nach dem Gewittersturm ist Rays Gesicht von feiner weißer Asche bedeckt, wie sie damals noch tagelang auf New York herabregnete.

Was Spielberg kann, hat er mit Genreklassikern wie "Der Weiße Hai" (1975), "Die Unheimliche Begegnung der Dritten Art" (1977) oder "Jurassic Park" (1993) bewiesen, seinem neuesten Werk jedoch mangelt es an Originalität und Inspiration. H. G. Wells schrieb 1929: "Hinter den ersten billigen Triumphen des heutigen Films erhebt sich die Aussicht auf ein Spektakel-Musik-Drama großartiger, herrlicher und intellektuell tiefer und reichhaltiger als irgendeine künstlerische Form, die die Menschheit bislang erreicht hat." Ob Spielbergs "Krieg der Welten" seine hohen Erwartungen erfüllt hätte?

Foto: Rachel (Dakota Fanning), Ray (Tom Cruise): Pechsträhne


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