© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Hauptaufgabe
Karl Heinzen

Gewerkschaftler sind keine besseren Menschen als der Rest der Bevölkerung. Sie teilen die Vorurteile und Unarten ihrer Mitbürger. Das Projekt "Gewerkschaften und Rechtsextremismus" hat nun herausgefunden, daß dies leider auch für jene pathologische Einstellung gilt, die Irrationalismus und Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft sät und daher einer konsequenten Stigmatisierung bedarf. 19 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Erwerbstätigen, Arbeitslosen und Rentner hängen, so die Forscher, einem "rechtsextremistischen" Weltbild an - nur unwesentlich mehr grassiert dieses in der gesamten Arbeitnehmerschaft.

Überraschend ist, daß eine derartige Einstellung unter jenen DGB-Mitgliedern, die der "Mittelschicht" zuzurechnen sind, deutlich häufiger anzutreffen ist als unter ähnlich gut Situierten, die der Organisation nicht angehören. Da 43 Prozent der Gewerkschaftsfunktionäre genau diesen sozialen Hintergrund haben, gibt das Ergebnis Anlaß zu Besorgnis. Es könnte erklären, weshalb so viele Apparatschiks die rot-braune WASG unterstützen und den Fremdarbeiter-Tiraden des Saarland-Mussolini Oskar Lafontaine applaudieren.

Die Wissenschaftler haben es nicht an Kreativität mangeln lassen, um zu verhindern, daß die empirischen Daten aus dem Ruder laufen. Einstellungen, die sonst nur zu gerne verheimlicht werden, brachten sie mit manch unverfänglich klingenden Formulierungen ans Licht, zu denen die Befragten Stellung beziehen sollten. Die Zustimmung zu der Aussage, daß man endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben solle, identifizierten sie so als Indiz für Chauvinismus, die Forderung nach einem Schlußstrich unter der Vergangenheit als NS-Verharmlosung.

Im Wolkenkuckucksheim der reinen Sozialforschung mag man über ein solches Vorgehen die Nase rümpfen. Politisch ist es durch die Resultate und das, was sich aus ihnen machen läßt, aber gerechtfertigt. Unter einer neuen Koalition in Berlin könnte es den Gewerkschaften einfallen, nun ohne jeglichen Rest von Loyalität zur Regierung gegen ein beschleunigtes Reformtempo zu agitieren. Diese Lust muß man ihnen nehmen, indem man sie in der Öffentlichkeit als Hort des Rechtsextremismus bloßstellt und sie auf die Aufgabe beschränkt, erst einmal in den eigenen Reihen aufzuräumen. Auch die Gewerkschaften werden den Sozialstaat nicht retten können. Sie haben aber dafür Sorge zu tragen, daß mit dem überfälligen Wandel wenigstens die politische Kultur unseres Landes unbeschädigt bleibt.


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