© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Herrschen, ohne zu haften
Der Berliner Wirtschaftsrechtler Markus Kerber auf der Suche nach einem überstaatlichen Konkursrecht
Klaus Peter Krause

Insolvenzen gibt es nicht nur bei Privaten, sondern auch bei Staaten. Was zu tun ist, wenn einzelne Bürger oder Unternehmen insolvent geworden sind, regelt das jeweilige nationale Insolvenz- und Konkursrecht. Was aber ist vorgesehen, wenn ein ganzer Staat zahlungsunfähig wird und seine Insolvenz erklären muß? Nach welchen Regeln oder Vorschriften wird in einem solchen Fall verfahren? Wie sind Staatsfinanzkrisen zu lösen? Ein Staatskonkursrecht gibt es noch nicht. Daß Regelungsbedarf besteht, scheint außer Frage zu stehen. Internationale Aktionen zur Umschuldung nicht mehr zahlungsfähiger Entwicklungs- und Schwellenländer hat die Staatengemeinschaft schon oft genug erlebt. Das ist Markus C. Kerbers Anknüpfungspunkt für seine jetzt vorgelegte Schrift.

Worum es ihm geht, kleidet er in drei grundsätzliche Fragen: Läßt sich ein überstaatliches Konkursverfahren für Schuldnerstaaten ökonomisch zwingend überhaupt rechtfertigen und zu ordnungspolitisch erträglichen Bedingungen umsetzen? Wäre so ein Verfahren rechtlich zulässig und politisch zweckrational, da es doch im Spannungsverhältnis steht zur verbleibenden Souveränität des Schuldnerstaates und zu seiner nationalen Zuständigkeit für die Fiskalpolitik? Ist das, was der Internationale Währungsfonds (IWF) hierzu vorgeschlagen hat, unter dem Aspekt der Institutionenökonomik optimal, oder sind Ordnungsalternativen nach dem Privatrecht denkbar?

Lesern allerdings, die letztlich auf eine klare, schlichte Antwort hoffen, vielleicht gar ein (zuvor durchaus begründetes, abgewogenes) zusammenfassendes Ja oder Nein erwarten, macht Kerber das Finden reichlich schwer. Was er zum Beispiel - bezogen auf die erste genannte Frage - für ordnungspolitisch erträglich hält, stellt er nur als Möglichkeit ("könnte lauten") dar: den an sich unbestrittenen Immunitätsschutz von Staaten radikal zurückführen, die Vergabe von Staatskrediten an Schwellenländer mittels völkerrechtlichen Vertrages daraufhin kontrollieren, ob sie wettbewerbsverfälschende Wirkungen haben, und den Minderheitsländern innerhalb des IWF stärkere Vetorechte geben, wenn der Fonds Großkredite vergeben will. Ebenso muß man sich durch den Text durchbeißen, um ihm von Kerbers Antwort auf die dritte Frage peu à peu zu entnehmen, daß nicht optimal ist, was der IWF vorgeschlagen hat und privatrechtliche Ordnungsalternativen sehr wohl denkbar sind.

Ein Nachdenken darüber, ob und wie Insolvenzfälle souveräner und daher immunitätsgeschützter Staaten durch das Recht und ein regelgebundenes allgemeines Verfahren zu ordnen seien, ist, wie der Autor eingangs in einem kurzen Abriß feststellt, so alt wie die moderne Nationalökonomie. Und an aktueller Bedeutung gewinne das Thema immer dann, wenn staatsbankrottähnliche Situationen nach internationaler Koordinierung verlangten. Als Beispiel führt er den Ohlin-Vorschlag als Antwort auf die Schuldenkrise zahlreicher Entwicklungsländer in den 1970er Jahren an sowie den Oechsli-Vorschlag von 1981. Die theoretische Diskussion sei in der Folgezeit zwar weitergegangen, habe aber in den Erkenntnissen zu keinen Quantensprüngen geführt. Dann, nach der Umsetzung des Brady-Plans 1991, sei sie in tiefen Schlaf gefallen. Erst 1995 mit der Mexiko-Krise sei die Wissenschaft jäh aus ihm herausgerissen worden. Im weiteren Verlauf hat sich dann auch der IWF mit Vorschlägen eingemischt.

Der IWF-Vorschlag vom April 2002 zu einem Konkursverfahren für Schwellenländer, betitelt mit "Souvereign Debt Restructuring Mechanism" (SDRM), stammt von der stellvertretenden IWF-Direktorin Anne O. Krueger. Viel hält Kerber von ihm nicht, er nimmt ihn regelrecht auseinander. Mit Kritik am IWF spart er ohnehin nicht, läßt an ihm kaum ein gutes Haar. Dessen Auffassung, schon die bloße Existenz eines vorhersehbaren Verfahrens werde Schuldnerstaat und Gläubiger zur Einigung motivieren, nennt Kerber "eine ebenso kühne wie naive Hoffnung".

Immerhin aber bezeichnet er es als "längst fällig", daß über die Legitimität eines Konkursverfahrens für Staaten "reflektiert" wird. Er begründet es damit, daß die Souveränität von Schuldnerstaaten zwar immer noch eine rechtliche Grenze für Eingriffe darstellt, daß aber die mittelbaren Wirkungen nationalsouveräner Wirtschaftspolitik die gesamte internationale Gemeinschaft treffen, "und zwar in einem Maße, wie dies zur Zeit rigider Kapitalverkehrskontrollen und Handelsschranken undenkbar gewesen wäre". Wenn Schuldnerstaaten über ihre Fiskalpolitik und den Zeitpunkt ihres Umschuldungsgesuchs nach eigenem Ermessen entschieden, habe das bei globalisierten Finanzmärkten stets Wirkungen über ihre Regionen hinaus, und sie könnten sich sogar auf die Weltwirtschaft erstrecken.

Kerber vermißt, daß der IWF-Vorschlag diese Wirkungen zu dessen Begründung "nicht ausführlich thematisiert", und beklagt die mäanderhaften Windungen in der Willensbildung dieser Währungsbehörde. In zahllosen internen Papieren habe man dort den Vorschlag diskutiert und geändert, ohne daß der Fonds bisher einen formal abgerundeten Vorschlag auf den Tisch gelegt habe, der Gegenstand einer abschließenden Entscheidung hätte sein können.

Wie können sich (private wie staatliche) Gläubiger gegen die mögliche Zahlungsunfähigkeit eines Staates vorbeugend schützen, wie gerade auch dann gegen ihn, wenn dieser Fall eingetreten ist, und gegen seine Souveränität, gegen seinen Immunitätsschutz Vollstreckung erreichen oder Sanktionen gegen ihn durchsetzen? Die Fülle der Schwierigkeiten, der Wenn und Aber, die sich dabei in den Details ergeben, erlaubt es hier nicht, den Inhalt der Abhandlung auf ein kurzes Ergebnis zusammenzupressen. Auch Kerber selbst verzichtet auf eine Zusammenfassung, gibt stattdessen einen "ordnungspolitischen Ausblick".

Der Wert seiner Schrift liegt gerade auch darin, daß sie bewußt macht, wie komplex, wie kompliziert die rechtlichen, die ökonomischen und die technisch-praktischen Schwierigkeiten sind, um fallierenden Staaten zu helfen, einvernehmlich mit ihnen zu retten, was zu retten ist, enteignungsgleiche Eingriffe in Gläubigerrechte zu verhindern, Gläubiger unter einen Hut zu bringen, in zu respektierende Souveränitätsrechte einzugreifen, ohne sie zu verletzen. Man sieht, was zu bewältigen ist, und daß Fragen über Fragen auftauchen. Kerber untersucht Möglichkeiten und vermutliche Folgen von Sanktionen gegen Schuldnerstaaten, die zu fallieren drohen oder schon zahlungsunfähig geworden sind, beklagt Intransparenz, Anmaßung und Machttrieb der amerikanisch dominierten IWF-Behörde und attestiert dem Streben nach einem Konkursverfahren für Staaten insgesamt eine Fülle ungelöster Rechtsfragen.

Kerber will das, wovon seine Schrift handelt, nicht in Form einer "stillvergnügten Abhandlung, die dicke Bibliotheken nur noch feister macht", darbieten, sondern in einer "Sprache, die die Maßstäbe liberaler Ordnungspolitik ohne Rücksicht auf US-ökonomische Zitierkartelle verdeutlicht und den IWF dazu zwingt, für seine Ermächtigungsziele auf dem Gebiet des Staatskonkurses nach einer originären Legitimität zu suchen". Deutlich wird Kerber durchaus, er spart auch nicht mit Polemik, tut es aber zumeist in einer umständlichen, geschrobenen Sprache. Das macht leider mühsam lesbar, was er kompetent wie zutreffend darstellt und folgert, und vermindert seine Wirkungskraft. Doch stößt man hin und wieder auch auf so entschiedene, knappe Sätze wie diese: "Internationale Bürokratien wie der IWF wollen Macht ausüben, ohne Rechenschaft zu legen. Sie wollen herrschen, ohne hierfür politisch zu haften."

 Markus C. Kerber: Souveränität und Konkurs. Zur Institutionenökonomie der Suspendierung staatlicher Schuld im internationalen Recht. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2005 99 Seiten, broschiert, 19,80 Euro

 

Dr. Klaus Peter Krause war bis 2004 verantwortlicher Redakteur im Wirtschaftsressort der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".


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