© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Lähmungen
Gesundheit: Zecken-Risikogebiete breiten sich weiter nach Norden aus / Auch eine Folge des Klimawandels
Leonhard Weiss

Infektionskrankheiten könnten in Zukunft in bislang verschonte Gebiete vordringen, warnten Immunologen vergangenen Monat auf dem Kongreß für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Hamburg. Dies gelte insbesondere für durch Zecken übertragene Erkrankungen wie Meningitis und Borreliose. Als Ursache werden Klimaveränderungen angesehen, die das Endemiegebiet dieser blutsaugenden Parasiten nach Norden hin ausdehnen.

"Die Frühsommermeningitis kommt zunehmend auch nördlich der Main-Linie vor, die früher als Verbreitungsgrenze galt", erklärte Kongreßpräsident Emil Reisinger, Professor an der Uni Rostock, über die durch Viren ausgelöste fieberhafte Hirnhautentzündung, kurz FSME. Jochen Süß vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit bestätigt den beunruhigenden Trend, der seit 20 Jahren zu beobachten ist: "Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 274 FSME-Erkrankungen gemeldet. Das entspricht einer Zunahme um 574 Prozent", berichtete Süß, der die heutigen Zahlen in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift mit dem Zeitraum 1974 bis 1983 verglichen hat.

Die Symptome einer Meningitis sind hohes Fieber, Kopf-, Rücken-, und Gliederschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Lähmungen; die Erreger können sogar Bewußtseinsstörungen in Form vorübergehender Psychosen auslösen und schließlich zum Tode führen. Allerdings kommt es nur in jedem dritten Fall eines Zeckenbisses zu einer Erkrankung.

Bei der Borreliose, die durch Bakterien, die sogenannten Borrelien, ausgelöst wird, verkennen die Ärzte häufig die Symptome, da diese anderen Krankheitsbildern sehr ähnlich sind, wie beispielsweise Rheuma. Bis die Anzeichen jedoch erkannt sind, ist es in den meisten Fällen zu spät für eine vollständige Heilung. Eine Impfung wie bei der FSME gibt es für die Borreliose bislang nicht, doch es bestehe die Möglichkeit einer Antibiotikatherapie. Diese schlage umso besser an, je früher die Infektion festgestellt werde, so Reisinger.

Gefahr für Freizeitsportler, Wanderer und Hobbygärtner

"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Hamburg und Schleswig-Holstein betroffen sind", so der Infektionsmediziner über die lebensgefährliche Virenerkrankung. Ein erster Fall liege bereits aus Mecklenburg-Vorpommern vor und auch aus Südnorwegen seien Infektionen bekannt. In den deutschen Endemiegebieten sind 0,1 bis 5,0 Prozent der Tiere mit FSME-Viren infiziert, das entspricht einem Übertragungsrisiko von 1:1000 bis 1:50 bzw. 100 bis 300 Erkrankungen jährlich.

Zecken halten sich bevorzugt in Büschen, Hecken, in hohen Gräsern, im Unterholz und an Waldlichtungen auf, daher treffen 90 Prozent aller FSME-Infektionen Freizeitsportler, Spaziergänger, Wanderer, Camper oder Menschen bei der Gartenarbeit. Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht in dem Zeitraum April bis November, vor allem aber in den Monaten Juni, Juli und August. Süß zufolge traten noch Anfang der neunziger Jahre weniger als 1,5 Prozent der FSME-Erkrankungen außerhalb der am stärksten befallenen Regionen in Baden-Württemberg und Bayern auf. 2004 seien es bereits 14,6 Prozent gewesen.

Der Grund für die zunehmende Infektionsgefahr liegt vor allem in den global ansteigenden Durchschnittstemperaturen, die den Wirten der Zecken - das sind in der freien Natur in der Regel Mäuse - erlauben, sich weiter nordwärts auszubreiten. "Die Zecken können in wärmeren Gebieten schneller wachsen und sich rascher vermehren, weil dort die Lebensbedingungen besser sind. Die Wärme beschleunigt den Entwicklungszyklus", so Reisinger über die zähen Organismen, die ihr ganzes Leben lang auf ihre Mahlzeit warten können.

Klimamodelle belegen die in den letzten Jahrzehnten zunehmend milderen Wintertemperaturen als typische Folge des anthropogenen Treibhauseffekts. So hat sich die mittlere Zahl der Frosttage (mit weniger als minus sieben Grad Celsius) pro Jahr im Raum Stockholm von den sechziger auf die neunziger Jahre von 40 auf 11 verringert. Auch das frühere Einsetzen des Frühlings spielt dabei eine Rolle.

"Sowohl die Klimaänderung als auch deren mögliche Folgen sind höchst spekulativ. Wir liegen noch immer im Bereich der natürlichen Schwankungen der letzten Jahrhunderte", meint demgegenüber Corinna Klemm vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit.

Peter Höppe, Leiter des Bereichs Geo-Risikoforschung der Münchener Rückversicherungsgesellschaft, sieht die gesundheitlichen Risiken einer Klimaerwärmung in der Zunahme von Hitzeperioden. "Das schon heute in Deutschland bestehende Infektionsrisiko durch Zeckenbisse wird steigen", prognostiziert Höppe.

"Bei einer weiteren Erwärmung müssen wir in Deutschland mit der Ausbreitung von 'tropischen' Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Malaria oder Dengue-Fieber rechnen."


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