© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Von der Enttäuschung zum Haß
Die Linke und der Antisemitismus: Wolfgang Kraushaar lüftet das Geheimnis um einen Attentäter
Werner Olles

Wie antisemitisch war die außerparlamentarische Linke der Achtundsechziger-Bewegung? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Erst recht nicht, nachdem Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung und anerkannter Chronist der Studentenbewegung, mit seinem soeben im Hausverlag des Instituts, der Hamburger Edition, erschienenen Buch "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" einen zwar "außerordentlich spannenden, aber bedrückenden Doku-Kriminalroman" (M. Brumlik) vorgelegt hat. Der FAZ war das Thema immerhin eine ganze Seite wert, und die einen Tag später folgende Präsentation des Buches machte das Dilemma der radikalen Linken noch einmal deutlich.

Dabei bringt Kraushaars Buch eigentlich nur wenige Neuigkeiten über den glücklicherweise mißlungenen Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße am 9. November 1961. 250 Menschen gedachten dort genau 31 Jahre nach der Reichskristallnacht der Opfer dieses von den Nationalsozialisten angezettelten antisemitischen Pogroms. Nicht auszudenken, die Bombe wäre tatsächlich detoniert. Das Verbrechen wurde jedoch offiziell nie aufgeklärt, der oder die Täter nie gefaßt.

Es war allerdings - und das beileibe nicht nur in der linksextremistischen Berliner Szene - ein ziemlich offenes Geheimnis, daß hinter dem versuchten Anschlag die sich nach einer lateinamerikanischen Guerillagruppe nennenden Terroristen der "Tupamaros West-Berlin" um den Ex-Kommunarden Dieter Kunzelmann steckten. Die Gruppe - gegründet von Mitgliedern des militanten "Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen" ("High sein, frei sein, Terror muß dabei sein") und diversen frustrierten Einzelkämpfern - hatte sich auf in der Stadt kursierenden Flugblättern und Stellungnahmen in der Szene-Zeitschrift Agit 883 offen zu dem Anschlag bekannt. Aus ihrer antisemitischen - im linksradikalen Szenejargon: "antizionistischen" - Haltung hatten die "Tupamaros", von denen einige in jordanischen Fatah-Lagern eine Guerilla-Ausbildung absolviert hatten, dabei überhaupt keinen Hehl gemacht.

Wirklich neu an Kraushaars Buch ist lediglich, daß er nach langwierigen Recherchen den inzwischen im Ausland lebenden Bombenleger enttarnt hat, und dieser die Tat auch gestand: Albert Fichter, damals Mitglied der "Tupamaros West-Berlin", Bruder des bekannten Publizisten und SPD-"Vordenkers" Tilman Fichter. Die Bombe wurde geliefert von Peter Urbach, einem Spitzel und Agent provocateur des Berliner Verfassungsschutzes, dessen fragwürdige Rolle bei diesem Anschlag (und früheren Aktionen) bis heute nicht restlos geklärt werden konnte.

In einer Präsentation des Buches in Frankfurt am Main diskutierten neben dem Autor Wolfgang Kraushaar nun Micha Brumlik, Professor am Institut für Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang von Goethe-Universität und Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, sowie der Historiker und ehemalige SDS- und KBW-Funktionär Gerd Koenen über diesen Wendepunkt in der Geschichte der Achtundsechziger-Bewegung. Denn tatsächlich war eine solche Frontbildung neu, wenngleich einige Aspekte und Faktoren auf eine derartige Entwicklung bereits hingedeutet hatten. Ein zunächst eher still und verhalten sich äußerndes traditionell linkes Unbehagen an Israel und seiner Politik wurde durch die historische Palästina-Frage, die mit einer recht irrationalen und unreflektierten Solidarität mit allen möglichen antikolonialistischen "Befreiungsbewegungen" einherging, in längst vergangen geglaubte Traditionszusammenhänge gestellt und dergestalt mit der sogenannten "Judenfrage" verbunden.

So hatten auf den Tag genau fünf Monate vor dem Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus im Hörsaal VI der Goethe-Universität in einer konzertierten Aktion Mitglieder des SDS und der Frankfurter El Fatah-Gruppe um Abdallah Frangi und Amin Al-Hindi den israelischen Botschafter Asher Ben-Nathan, der auf Einladung des Bundesverbandes jüdischer Studenten in Deutschland (BJSD) im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Frieden in Nahost" einen Vortrag halten wollte, in dem er die israelische Position erläuterte, niedergebrüllt. Bundesforschungsminister Stoltenberg, der Schriftsteller Günter Grass und der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) kritisierten diese "neue Judenfeindschaft im Gewand des Antizionimus", Grass bezeichnete die Methoden des Frankfurter SDS wörtlich gar als "faschistisch".

Schockiert drückte auch Theodor W. Adorno in einem Schreiben an Herbert Marcuse sein Entsetzen über die Vorfälle aus: "Die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus nehme ich viel schwerer als Du. Nachdem man in Frankfurt den israelischen Botschafter niedergebrüllt hat, hilft die Versicherung, das sei nicht aus Antisemitismus geschehen ... nicht das mindeste. Du müßtest nur einmal in die manisch erstarrten Augen derer sehen, die womöglich unter Berufung auf uns selbst, ihre Wut gegen uns kehren."

Daß dieser Haß ein paar Jahre später in logistischen Handreichungen für die Mörder der israelischen Sportler während der Olympiade 1972 in München und in gemeinsamen Aktionen sogenannter "Revolutionärer Zellen" mit palästinensischen Terrorgruppen gipfeln würde, konnte selbst Adorno damals noch nicht ahnen.

Nach und nach erwuchs so aus Enttäuschung über den Staat Israel, der weder mit der Errichtung eines sozialistischen Systems noch angesichts des an den Palästinensern verübten Unrechts und der Feindschaft gegenüber den Trägern einer nicht-zionistischen Perspektive die Erwartungen der deutschen Neuen Linken erfüllte, zunächst Wehmut, dann radikale Kritik und schließlich bittere Aggressivität und offener Haß. Daß sowohl der Staat Israel als auch der palästinensische Widerstand sich nur in nationaler und sogar nationalistischer Form, nicht aber in universalistischer Gestalt zu realisieren vermochten, gehörte dabei zu den Realitäten, die eine sich universell und internationalistisch dünkende Linke nicht begreifen konnte und wohl auch nicht wollte.

Zu allem Überfluß kam auch noch die Konfrontation der jungen Linken mit ihrer eigenen Herkunft als Deutsche dazu. Diese Wirklichkeit, in der die aufgebahrte Vergangenheit ihrer Wiedererweckung in das allgemeine Bewußtsein harrte, war für viele Linke so komplex und kompliziert, daß sie den eindimensionalen Blick auf den Palästina-Konflikt vorzogen. Doch wo der Begriff "Antizionismus" noch am richtigen Platz war, nämlich in Palästina/Israel, schlug er in Deutschland mit voller Härte auf die Linke zurück.

Die Solidarität der Achtundsechziger mit den Palästinensern tat zwar so, als ob Auschwitz nie gewesen wäre, aber sie war dennoch keineswegs von Anfang an antisemitisch, wenn sie auch durchaus mit den untergründig wirkenden antisemitischen Restbeständen eine unbewußte Verbindung einging. Tatsächlich verhielt sich die Sache aber noch weitaus komplizierter.

Denn gerade weil die radikale Linke sich arrogant von jeglichen antisemitischen Traditionsbeständen und Spurenelementen frei wähnte, kam es schließlich zu jenen unheiligen Allianzen mit palästinensischen und arabischen Terrorbewegungen, die schon bald jedes moralische Maß vermissen ließen. Aus dem Dilemma der (berechtigten) Kritik an Israel wurde das wirkliche Drama einer aus maßloser Enttäuschung geborenen antisemitischen Täuschung. Von der bedingungslosen Verteidigung des jüdischen Staates bis zum auch terroristische Elemente einschließenden Palästinaengagement junger Deutscher hat sich die notorische "Judenfrage" genau wie die Palästinafrage bis heute einer realitätsgerechten Wahrnehmung auf eine vertrackte Weise entzogen. "Ich wundere mich über das Erstaunen, das die Erwähnung eines linken Antisemitismus heute bei vielen hervorruft", rief Gerd Koenen bei der Präsentation des Kraushaar-Buches einigermaßen überrascht aus.

Dem Nahost-Konflikt hat man sich jedoch - zumal als Deutscher - nicht ideologisch sondern pragmatisch zuzuwenden, d.h. die historische Auseinandersetzung zwischen Juden und Arabern, Israelis und Palästinensern sollte am realen, konkreten Ort ihres Geschehens belassen werden. Wer sich statt dessen als nachholende Handlung in simulierter Zeitversetzung sein symbolisches Substitut für sein eigenes entwirklichtes Selbstverständnis als Linker zurechtzimmert, wird seine kulturell gestiftete Blindheit vor lauter Staunen und Wundern wohl nie überwinden.

Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus. Hamburger Edition, Hamburg 2005, geb., 300 Seiten, 20 Euro

 

Werner Olles, Jahrgang 1942, war 1968/69 Mitglied im Frankfurter SDS und schrieb bis Anfang der Siebziger auch für die Szene-Zeitschrift "Agit 883". Danach engagierte er sich in Splittergruppen der "Neuen Linken".

Foto: Sprengstoffanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin (November 1969): Polizeifeuerwerker öffnen das Paket mit der Bombe


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